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08.02.2001

Rede im Bundestag am 8.2.2001

8.2.2001 - Bundestag
Reform des Tarifvertragsrechts, Antrag der F.D.P.
(Drucksache 14/2612, 14/5214)
Auszug aus dem Plenarprotokoll 149. Sitzung

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Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt der Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Wann spricht denn die Bundesregierung? - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die hat keine abgestimmte Meinung!)

Olaf Scholz [SPD]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der F.D.P. bringt große Probleme mit sich, weil er nicht ganz im Einklang mit unserer Verfassung steht.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist Quatsch, Herr Scholz!)

Unsere Verfassung garantiert die Tarifautonomie. Nun kann man sich die Ausgestaltung der Tarifautonomie natürlich vielfältig vorstellen. Man kann sich aber nicht vorstellen, dass es eine Tarifautonomie gibt, bei der diejenigen, die gar keine Tarifpartner sind, nachher beschließen können, dass alles, was tariflich vereinbart worden ist, keine Gültigkeit hat. Im Prinzip schlagen Sie das vor.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ich glaube, Sie sollten sich hinsetzen und unseren Antrag noch einmal durchlesen!) Zum einen schlagen Sie vor, dass neben den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich, wie von unserer Verfassung garantiert, zu Koalitionen zusammenschließen und Verträge miteinander schließen dürfen, auch ein Gremium, das keiner der beiden Tarifparteien angehört, nämlich die Versammlung der Belegschaft oder aber der Betriebsrat,

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die Betroffenen!)

beschließen darf, dass die Beschlüsse der Tarifparteien nicht gelten. Auf diese Weise würde die Koalitionsfreiheit in unserem Lande abgeschafft. Das ist Inhalt Ihres Antrages und das steht nicht im Einklang mit der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der PDS -
Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Fünf,
setzen!)

Des Weiteren schlagen Sie vor - das läuft auf die gleiche Sache hinaus -, dass Betriebsräte gewissermaßen einen Tarifvertrag in der Form ändern können, dass anstelle von tariflich vereinbarten Löhnen eine Beschäftigungsaussicht tritt. Abgesehen davon, dass Sie in dieser Frage nicht konsequent sind, sonst müssten Sie festlegen, dass Beschäftigungsgarantie bedeutet, dass man in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht gekündigt werden darf - so ist es eine abstrakte Beschäftigungsgarantie -, ist dieser Vorschlag identisch mit dem ersten Vorschlag, denn Sie schaffen die Möglichkeit, dass ein Gremium, das nicht zu den Tarifparteien gehört, Vereinbarungen der Tarifparteien aussetzen kann. Damit gefährden Sie sogar die Grundprinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft. Diese beruhen unter anderem darauf, dass Betriebsräte in Deutschland von der gesamten Belegschaft gewählt werden und, anders als in allen anderen Ländern, keine Gewerkschaftsangehörigen sein müssen. Wenn Ihr Vorschlag durchkommt, führt das dazu, dass die Betriebsräte unmittelbar

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Belegschaften!)

zu Tarifpartnern werden und es zu Auseinandersetzungen über Gehaltserhöhungen in den Betrieben kommt. Damit wird ein zentrales Prinzip unserer Sozialordnung infrage gestellt. Sie sollten die Finger davon lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS -

Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie werden auch noch zu anderen Einsichten kommen,Herr Scholz!)

Ich glaube übrigens, dass Sie damit auch den Arbeitgebern in unserem Lande keinen Gefallen tun. Natürlich beruht der Konsens, der unsere Wirtschaft trägt, darauf, dass gewissermaßen die betriebliche Ordnung vom Tarifkonflikt und von der Auseinandersetzung über Löhne frei-gehalten wird. Das ist auch der Sinn des Tarifvorranges. Sie wollen das alles ändern. Im Ergebnis erreichen Sie dadurch nur, dass es überall Auseinandersetzungen über diese Dinge geben

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das sehen wir anders!)
und es zu mehr Streit als bisher üblich kommen wird.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Im Übrigen muss man einen Punkt noch ergänzen; mir ist es ganz wichtig, das zu sagen. Sie haben eine klare Vorstellung davon, was unserer Wirtschaft nützt: niedrigere Löhne, nur niedrigere Löhne. Sie haben keine anderen Ideen; Sie sind überhaupt nicht intelligent und flexibel, Sie haben nicht viele Einfälle, sondern immer wieder nur den gleichen Einfall: niedrigere Löhne nützen. Sie irren sich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Scholz, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Kollegen Dr. Kolb. Lassen Sie die zu?

Olaf Scholz (SPD): Ja.

Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Herr Kollege Scholz, erklären Sie mir doch bitte einmal, warum bei Holzmann niedrigere Löhne über einen bestimmten Zeitraum offensichtlich nützlich waren und das sogar von Ihrem Bundeskanzler, wenn ich das richtig sehe, toleriert wurde, aber in anderen Fällen, wenn der Segen des Bundeskanzlers nicht erteilt wird, das nicht der Fall sein soll. Können Sie mir vielleicht bei dieser Gelegenheit auch sagen, wie Sie zu den Vorschlägen von Herrn Müller stehen und wie Sie beurteilen, dass die Bundesregierung offensichtlich heute hier nicht sprechen will? Liegt das vielleicht daran, dass es keine zwischen Herrn Riester und Herrn Müller abgestimmte Meinung gibt?

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Herr Müller hat auch nicht immer Recht!)

Olaf Scholz (SPD): Ich möchte gerne zunächst auf den letzten Punkt antworten. Die Bundesregierung ist sich bei uns Abgeordneten der SPD und der Grünen so sicher, dass wir die Tarifautonomie im Gegensatz zu Ihnen wichtig finden, dass nicht sie das sagen muss, sondern wir Abgeordnete das sagen können.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ach so!)

Es gibt überhaupt kein Mitglied der Bundesregierung, das in dieser Frage anderer Meinung wäre, als ich hier dargestellt habe.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Das wünschen Sie sich, aber das wird durch Wünschen nicht so.

(Beifall bei der SPD -
Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das habe ich bei Frau Wolf anders verstanden!)

Das Zweite. Das Beispiel Philipp Holzmann ist ein völlig falsches und wird auch dadurch nicht richtiger, dass Sie es trotz vielfacher Belehrungen in diesem Haus und an anderer Stelle immer wieder bringen. Denn bei Philipp Holzmann hat etwas stattgefunden, was der Kollege Brandner und auch andere Redner hier schon dargestellt haben. Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn im Rahmen der tariflichen Ordnung mit Billigung der Tarifparteien Vereinbarungen getroffen werden, die Abweichungen für bestimmte Zeit enthalten. Das gibt es massenhaft. In Ostdeutschland gibt es lauter solcher Öffnungen.

(Beifall bei der SPD)

Sie setzen sich nur ideologisch mit der Tarifordnung unseres Landes auseinander, aber nicht mit der Realität, die flexibler ist, als die F.D.P. überhaupt ahnen kann.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Es gibt eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dr. Kolb.

(Peter Dreßen [SPD]: Er kann ein Honorar für Aufklärung verlangen!)

Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Herr Scholz, wir alle haben das verfolgt. Man kann nicht sagen, dass insbesondere die mittelständischen Mitglieder des Tarifverbandes mit besonderer Begeisterung auf den Vorschlag, Erleichterungen für das Großunternehmen Holzmann zu ermöglichen, eingeschwenkt sind.

(Susanne Kastner [SPD]: Was wollen Sie denn wissen?)

Vielmehr ist das offensichtlich auf massiven Druck der Gewerkschaften hinter den Kulissen geschehen.

(Klaus Brandner [SPD]: Waren Sie dabei?)

Mein Punkt ist, dass in bestimmten Fällen,

(Zurufe von der SPD: Frage! - Susanne Kastner [SPD]: Was will er denn wissen, Frau Präsidentin?
Was ist die Frage?)

wenn es den Gewerkschaften ins Konzept passt, von Tarifvereinbarungen abgewichen werden darf und in anderen Fällen, wenn sie glauben, es besser zu wissen, das nicht geschehen soll. Können Sie mir einmal diesen Widerspruch erklären?

Olaf Scholz (SPD): Das ist ganz einfach. Denn es besteht gar kein Widerspruch.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ach so!)

Das war nicht einmal rhetorisch gelungen. Sie denken nicht zu Ende. Einerseits werfen Sie den Gewerkschaften, aber auch den Arbeitgeberverbänden vor, dass die Tarifordnung nicht flexibel sei. Wenn Ihnen dann aber vorgehalten wird, dass es doch Öffnungen und Flexibilität gibt, dann sagen Sie: Das ist aber nicht konsequent. Sie stellen sich eine Welt vor, die es gar nicht gibt, und kritisieren sie dann gewaltig.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Reden Sie mal mit mittelständischen Bauunternehmen über dieses Thema, Herr Scholz!)

Das sollten Sie ändern. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass unsere Wirtschaftsordnung davon lebt, dass wir sehr flexible Tarifparteien haben. Deshalb gibt es die Schwierigkeiten, von denen Sie sprechen, nicht.

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Aber Sie sind sich sicher, dass Sie in der Realität leben? -

Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das hört sich in der mittelständischen Wirtschaft anders an!)

Zweite Bemerkung. Sie haben vom Mittelstand gesprochen. Er hat das Problem, von dem Sie sprechen, gar nicht. Das Problem der mittelständischen Bauwirtschaft hat Herr Möllemann, als er noch Wirtschaftsminister war - bis zu diesem Chip -, mit eingebrockt, weil er mitgeholfen hat, dass auf der gleichen Baustelle die einen Leute 6 DM kriegen und die anderen Leute 28 DM kosten.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das können Sie doch heute nicht mehr als Erklärungsmodell anbieten, Herr Scholz! Das ist doch lächerlich!)

Wenn ich Sie konsequent verstehe, haben Sie das so gemeint: Löhne von 28 DM sind falsch; 6 DM sind gut. -Aber dann sollen die Wähler das auch wissen. Da fällt mir eine ganz komische Begebenheit ein.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Da kann man sich auch setzen! -

Erika Lotz [SPD]: Er antwortet noch!)

Mein DGB-Vorsitzender hat mich darüber aufgeklärt, dass die Hamburger F.D.P. am 1. Mai einen Stand machen will. Will sie da für die Abschaffung der Tarifautonomie demonstrieren, für die Beseitigung der Gewerkschaften? Was ist das für ein komischer Auftritt zum 1. Mai!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS -

Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Viele Worte! Viel Luft!)

Wir haben eine sehr ordentliche Wirtschafts- und Sozialordnung. Sie hat viele Merkmale, zu denen wir uns bekennen, wenn wir auch Flexibilität und Modernisierung benötigen. Unsere Wirtschaftsverfassung lebt von freier Marktwirtschaft, aber auch von Kündigungsschutz, Sozialversicherung, Betriebsrat und Gewerkschaften. Sie wollen alle Teile außer der freien Marktwirtschaft in Frage stellen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist nicht richtig!)

Ich sage Ihnen: Das würde sich bitter rächen, wenn Sie jemals die Chance hätten, so etwas durchzusetzen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist nicht richtig und Sie haben auch kein Recht, uns misszuinterpretieren!)

Wir haben auf dieser Basis eine erfolgreiche Wirtschaftsordnung aufgebaut. Wir werden sie auch in der neuen Wirtschaft zustande bekommen. Der Stolz jedes Unternehmens der IT-Branche, das neu entstanden ist, wird es sein, zum Beispiel einen Betriebsrat zu haben, endlich in einen Tarifvertrag einbezogen zu sein.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das warten wir einmal ab!)

Das werden wir dann gemeinsam feiern können. Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)