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08.06.2000

Rede im Bundestag am 8.6.2000

8.6.2000 - Bundestag
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Fortbestand befristeter Arbeitsverhältnisse (Tagesordnungspunkt 7)

Zu Protokoll gegebene Rede

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Olaf Scholz (SPD): Das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz war eines der ersten Gesetze der 1998 abgewählten Koalition, das die arbeitsrechtliche Verfassung unseres Landes geändert hat. Mit diesem Gesetz sind viele Hoffnungen aufseiten der neoliberalen Kritiker des deutschen Kündigungsschutzes verbunden gewesen und mindestens gleichgroße Befürchtungen etwa auf der Seite der Gewerkschaften.
Das kann man verstehen. Das Arbeitsrecht kennt, abgesehen von einigen tarifvertraglichen Bestimmungen, praktisch keine kodifizierten Regelungen über die Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen. Lediglich im § 620 des Bürgerlichen Gesetzbuches findet sich eine Regelung, und die ist ziemlich schlicht. Es heißt dort, das Dienstverhältnis endigt mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen ist. Als Alternative wird geregelt, dass, wenn die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist, das Arbeitsverhältnis unter der Einhaltung von Fristen gekündigt werden kann.
Ob ein Arbeitsverhältnis also befristet werden kann oder nicht, regelt die zentrale Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht. Die Rechtsprechung hat aber schon früh begonnen festzulegen, wann von der Möglichkeit der Befristung Gebrauch gemacht werden kann. Das war und ist auch nötig. Denn wenn es in das Belieben der Vertragsparteien gestellt bleibt, wie es der Text des Bürgerlichen Gesetzbuches ja nahe legt, ob sie einen befristeten oder einen unbefristeten Vertrag abschließen, dann wird, weil das Kündigungsschutzgesetz die Kündigung von Arbeitsverträgen erschwert, sicherlich zur Maximierung der eigenen Vorteile von manchem Arbeitgeber stets auf die Möglichkeit der Befristung zurückgegriffen. Die Gefahr, dass man bei einer vollständigen Entscheidungsfreiheit der Parteien des Arbeitsverhältnisses am Ende nur noch befristete Arbeitsverträge hätte, ist jedenfalls nicht gering. Die Machtbalance zwischen einzelnen Arbeitnehmern und den Unternehmen ist jedenfalls nicht so, dass man davon ausgehen kann, dass hier von der Position Gleicher aus verhandelt würde.
Deshalb hat die Rechtsprechung argumentiert, ein Arbeitsverhältnis könne nur dann befristet werden, wenn ein verständiger Arbeitgeber in dem jeweilig konkreten Fall von der Möglichkeit der Befristung Gebrauch gemacht hätte.
Aufbauend auf dieses Argument sind dann sachliche Gründe für eine Befristung von der Rechtsprechung erkannt worden. Auf der Basis waren Befristungen immer zulässig, etwa zur Schwangerschaftsvertretung, zur Vertretung von Kranken oder bei befristeten Beschäftigungsbedarfen.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat 1985 diese Systematik durchbrochen, indem es zugelassen hat, dass ein Arbeitsverhältnis auch ohne sachlichen Grund befristet werden kann. Mittlerweile ist das 24 Monate zulässig und die Befristung kann bis zu dreimal verlängert werden. Das war also vor dem Hintergrund einer langen Rechtsprechungstradition ein wirklicher Eingriff. Man musste auch befürchten, dass zahlreich davon Gebrauch gemacht werden würde.
Schauen wir uns heute die Realität nüchtern an, kann man nicht feststellen, dass die Arbeitgeber in besonders großem Umfang von den Möglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes Gebrauch gemacht haben. In Westdeutschland ist seit 1985 die Zahl der befristet Beschäftigten von 1,1 Millionen auf 1,5 Millionen Beschäftigte gestiegen. In Ostdeutschland pendelt die Zahl zwischen 600 000 und 800 000. Im Bundesgebiet sind es seit der Vereinigung mithin durchschnittlich 2 Millionen Menschen, die befristet beschäftigt werden. Eine genauere Untersuchung der Infratest-Sozialforschung hat für 1992 ermittelt, dass von allen Befristungen etwa 10 Prozent nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz und damit ohne einen sachlichen Grund erfolgt sind.
Wir sollten nicht an den einzelnen Zahlen kleben und uns wechselseitig nachweisen, ob sie nun auf das Komma genau zutreffend sind. Deutlich ist aber doch, dass die große Hoffnung der neoliberalen Ideologen nicht eingetroffen ist. Es gibt viel mehr verständige Arbeitgeber als die F.D.P. sich wünscht. Die meisten Unternehmen haben von der Möglichkeit der Befristung ohne sachlichen Grund keinen Gebrauch gemacht. Umgekehrt muss deshalb auch festgestellt werden, dass die befürchtete Erosion des normalen, unbefristeten Arbeitsverhältnisses nicht eingetreten ist.
Die Zahlen, die ich vorgetragen habe, machen deutlich: Auch in Zukunft ist es möglich zuzulassen, dass in einem bestimmten Rahmen Arbeitsverhältnisse befristet abgeschlossen werden, ohne dass dafür von den Unternehmen ein sachlicher Grund nachgewiesen werden muss. Das ist keine Gefahr für unsere arbeitsrechtliche Verfassung.
Gleichwohl ist die Frage natürlich berechtigt, ob es Sinn macht, an diesem Gesetz festzuhalten. Auch dazu lohnt es sich, differenziert und nicht pauschal zu argumentieren.
Ein wichtiges Argument für das Gesetz zur Beschäftigungsförderung - daher stammt ja auch der eigenwillige Name - ist die Unterstellung gewesen, dass mit dem Abbau von arbeitsrechtlichen Schutzregelungen die Hemmung der Arbeitgeber, Arbeitnehmer einzustellen, sinkt und mehr Menschen Beschäftigung finden. Das ist schon durch leichtes Nachdenken als Illusion zu beschreiben. Kaum ein Unternehmen wird darauf verzichten, die Zahl seiner Beschäftigten im Bedarfsfalle zu vermehren, nur weil es sich vor dem arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz fürchtet. Mögliche Gewinne sollen von einem funktionierenden Unternehmen auch gemacht werden und so entscheiden sich ja auch die meisten. Das, was einem klares Denken sagt, hat mittlerweile die Statistik erwiesen. Mit unterschiedlichen Zahlen wird operiert: Mehr als 50 000 neue Arbeitsplätze unterstellen nicht einmal die striktesten Befürworter des Gesetzes von 1985.
Es muss also andere Gründe geben. Meines Erachtens sind es vor allem zwei:
Erstens. Existenzgründer wollen sich sicher nicht auf die Komplikationen eines Kündigungsschutzprozesses einlassen. Es kann helfen, dass sie ihre Anfangssituation dadurch erleichtern, dass sie zunächst mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Dadurch kann es dann tatsächlich zu einer positiven Bilanz für die Beschäftigung kommen, weil Arbeitsplätze in neuen Unternehmen neu entstehen. Hilfreich kann die einfache Befristung durch das Beschäftigungsförderungsgesetz ohne einen sachlichen Grund auch in den Fällen sein, in denen bei einer schwankenden Auftragslage oder plötzlicher Expansion Neueinstellungen erforderlich sind.
Zweitens. Für die Beschäftigten, die große Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden, weil der Verlauf ihrer bisherigen Erwerbsbiographie, ihre geringe berufliche Qualifikation oder lang anhaltende Arbeitslosigkeit viele Arbeitgeber davon abhalten, sie einzustellen, kann die den Arbeitgebern eingeräumte, erleichterte Möglichkeit der Befristung eines Arbeitsvertrages eine Chance sein. Manche Arbeitgeber scheuen sich, in einer solchen Situation eine Einstellung vorzunehmen, wenn bei der Beendigung der Beschäftigung die Risiken eines Kündigungsschutzprozesses drohen. Hier erhalten manche Arbeitnehmer die Chance, in der betrieblichen Praxis ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und dadurch auch ein Dauerarbeitsverhältnis zu erhalten.
Beide von mir genannten Gründe sprechen dafür, auch in Zukunft die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne sachlichen Grund in einem begrenzten Rahmen zuzulassen.
Der von der CDU hier vorgeschlagene Weg einer bloßen Entfristung des geltenden Gesetzes ist aber nicht eine geeignete Vorgehensweise. Vielmehr legen die Erfahrungen der Vergangenheit auch nahe, die Missbrauchs-fälle zu beseitigen, die sich mit der bisherigen Praxis des Beschäftigungsförderungsgesetzes eingeschlichen haben.
Das Beschäftigungsförderungsgesetz erlaubt die Befristung eines Arbeitsvertrages bis zur Höchstdauer von zwei Jahren bzw. eine höchstens dreimalige Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrages innerhalb dieses Zeitraumes. In keinem Falle kann es hingenommen werden, wenn auch weit über diesen Zeitraum hinaus Kettenarbeitsverträge mit befristet Beschäftigten abgeschlossen werden. Es gibt Fälle, in denen Menschen 6, 8 oder 10 Jahre immer wieder neue befristete Beschäftigungsverhältnisse bei ein und demselben Arbeitgeber erhalten. Diese Praxis muss unterbunden werden. Eigentlich versucht das Beschäftigungsförderungsgesetz das auch. Eine Befristung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund ist nämlich dann unwirksam und unzulässig, wenn zu einem vorhergehenden, unbefristeten Arbeitsvertrag oder zu einem vorhergehenden, befristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein Zusammenhang besteht. Das Gesetz ist aber nicht präzise. Zulässig ist nach der Gesetzeslage der Anschluss einer Befristung ohne sachlichen Grund an eine Befristung, für die ein sachlicher Grund vorgelegen hat, zum Beispiel an eine Schwangerschaftsvertretung. Im fröhlichen Wechsel zwischen Befristung mit sachlichem Grund und ohne sachlichen Grund können daher diese unerwünschten Befristungsketten entstehen. Das ist etwas, was die EU-Richtlinie, die dieses Thema behandelt, untersagt. Wir haben also allen Anlass, dieser Praxis ein Ende zu setzen und festzulegen, dass eine Befristung ohne sachlichen Grund unzulässig ist im Anschluss an einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder an jede Art eines befristeten Arbeitsvertrages, auch wenn es eine Sachbefristung war.
Nachgedacht werden muss sicherlich auch, ob die bisherige Regelung, dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen befristeter Beschäftigung und Vorbeschäftigung anzunehmen ist, wenn zwischen ihnen weniger als 4 Monate liegen, sachgerecht ist oder ob dort ein längerer Zeitraum festzulegen ist der zwischen den einzelnen Beschäftigungen vergehen muss, bevor von der Möglichkeit einer Befristung nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz bei einem früheren Arbeitnehmer Gebrauch gemacht werden kann.
Es gibt einen weiteren Missbrauchsfall. Die Mehrheit der Unternehmer entspricht dem vom Bundesarbeitsgericht geprägten Bild eines verständigen Unternehmers oder verständigen Arbeitgebers und hat eben in der Mehrzahl der Fälle nicht von der Möglichkeit des Abschlusses befristeter Arbeitsverhältnisse Gebrauch gemacht. Manche aber nutzen das Gesetz ziemlich schamlos aus. Es gibt Unternehmen, in denen ein Teil der Beschäftigten niemals länger als die nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz möglichen 2 Jahre beschäftigt wird. Spätestens nach 2 Jahren müssen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus dem Unternehmen ausscheiden, weil sie dann keine weitere Verlängerung durch einen neuen befristeten Arbeitsvertrag erhalten und auch keinen unbefristeten. Es darf nicht sein, dass in unseren Unternehmen Belegschaftsteile strukturell nur befristet beschäftigt werden. Ein verständiger Arbeitgeber würde nicht so entscheiden. Ein verständiger Gesetzgeber muss diesem Missbrauch einen Riegel vorschieben und das kann sinnvollerweise geschehen, indem den Betriebsräten eine Form der Missbrauchskontrolle eingeräumt wird. Deren Details sind sicherlich noch zu finden, aber es gibt genügend Ansatzpunkte für eine solche Missbrauchskontrolle. Ein solcher Ansatzpunkt könnte sein, dass dem Betriebsrat die Möglichkeit eingeräumt wird, bei Neueinstellungen dafür Sorge zu tragen, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht übergangen werden und ausscheiden müssen und dann durch neue befristet Beschäftigte ersetzt werden.
Ich fasse zusammen: Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist nicht der neoliberale Sprengsatz für die Arbeitsrechtsverfassung unseres Landes geworden. Befürworter der Gesetzesnovelle von 1985 und ihre Kritiker haben sich gleichermaßen geirrt. Es ist aber ein mögliches Instrument, um den Übergang in Beschäftigung für Arbeitnehmer mit komplizierten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und um insbesondere Existenzgründern eine nötige Flexibilität in ihren Handlungsoptionen zur Verfügung zu stellen. Nötig ist also eine behutsame Reform des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Der Antrag, den die CDU hier stellt, ist dafür zu schlicht. Wir werden eine bessere Vorlage zur richtigen Zeit dem Deutschen Bundestag zuleiten.