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01.07.2004

Rede im Deutschen Bundestag am 1. Juli 2004

Olaf Scholz (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal soll ich Grüße des Kollegen Bachmaier ausrichten. Er ist gegenwärtig mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt, nämlich damit, wie wir die bundesstaatliche Ordnung neu regeln können.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Er hofft, dass wir damit nicht nur hier konstruktivere Debatten bekommen, sondern dass es dort auch zu schnellen Ergebnissen kommt. Das ist ja ganz wichtig.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ihr schickt überall die Besten hin!)

Ansonsten haben wir bei der Vorbereitung der heutigen Versammlung über die Frage diskutiert, ob angesichts der Tatsache, dass hier fast immer das Gleiche gesagt wird, dies in Zukunft möglicherweise von verschiedenen Personen getan werden sollte, sodass in die Langeweile ein bisschen Abwechslung kommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Eines ist ganz klar: Es ist notwendig und richtig, dass die Gesellschaft ausdrückt, was sie von Graffiti-Schmierereien und Ähnlichem hält, dass sich das nämlich nicht gehört,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

dass das nicht in Ordnung ist und dass diejenigen, die so etwas tun, damit rechnen müssen, auch strafrechtlich verfolgt zu werden.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Bei dieser Regierung nicht! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das mal dem Ströbele!)

Allerdings gehört dazu auch, dass wir Politik nicht nur virtuell betrachten, sondern auch ein bisschen an der Wirklichkeit ausrichten.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist aber neu!)

Es ist doch so, dass die meisten Täter dieser Schmierereien, wenn sie denn entdeckt werden, auch bestraft werden können, nämlich mithilfe der vorhandenen Straftatbestände für Sachbeschädigung. Insofern gibt es keine wirkliche Regelungslücke, die jetzt geschlossen werden muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Zuruf von der CDU/CSU: Dann lehnen Sie den Antrag doch ab! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Da das Thema viele Menschen bewegt, ist es aber schon in Ordnung und richtig, genau hinzuschauen, ob es neben den vorhandenen Straftatbeständen möglicherweise noch ganz wenige kleine Lücken gibt, die geschlossen werden müssen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

In der Tat haben wir gemeinsam herausgefunden, dass es da für wenige Fälle noch eine ganz kleine Lücke gibt, die man schließen könnte. Diese Lücke hat aber eine Größenordnung im Millimeterbereich. Das ist also nicht ein großes Problem, sondern ein ganz kleines neben dem dort bestehenden eigentlichen Problem.

(Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: Nanometer!)

Deshalb ist es auch richtig jedenfalls wenn wir uns als Gesetzgeber ernst nehmen und etwas Vernünftiges tun wollen, also nicht nur Flugblätter als Gesetz beschließen möchten , dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir auch diese Millimeterlücke schließen können. Wir dürfen aber nicht in dem Bemühen, eine Millimeterlücke zu schließen, sozusagen ein großes Plakat darüber hängen und dies als Lösung bezeichnen.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Am besten zusprayen!)

Insofern ist es richtig, wenn wir uns Gedanken da-rüber machen, wie das besonders gut gelöst werden kann.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das machen Sie schon seit drei Jahren!)

Die Debatte, die wir jetzt führen, zeigt, dass es bisher nur solche Gesetzesvorschläge gibt, die nichts dazu beitragen, das Problem in der von mir beschriebenen Weise zu lösen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sehen die Sachverständigen aber anders!)

Das gilt für das, was von den Fraktionen hier im Hause vorgelegt worden ist, und mit Abstrichen auch für die Vorschläge des Bundesrates.

Die Fraktionen hier im Hause haben den Begriff Verunstaltung vorgeschlagen, die strafrechtlich verfolgt werden soll. Die Diskussion bestätigt uns und auch unser eigener großer Sachverstand sagt uns, dass die strafrechtliche Verfolgung der Verunstaltung keinen Beitrag dazu leistet, die von mir beschriebene nur wenige Millimeter große Gesetzeslücke zu schließen. Das ist eher ein riesiger Balken, mit dem ein großes Loch geschlagen und im Übrigen das Empfinden der Menschen gestört würde. Wenn wir dem entsprechenden Vorschlag tatsächlich folgten, dann müssten wir nämlich damit rechnen, dass alles mögliche als Verunstaltung betrachtet würde, und hätten möglicherweise Strafbarkeiten geschaffen, die niemand in diesem Hause, auch Sie nicht, schaffen wollten. Möglicherweise kämen wir somit in die Situation, in der vor Gericht darüber diskutiert würde, ob es sich im gegebenen Fall um eine Verunstaltung oder um eine Verschönerung handelt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! Dann brauchen wir Sachverständige!)

Angesichts der Tätergruppe kann man sicherlich auch unterstellen, dass sich einige einen Jux daraus machen würden, das Gesetz, das Sie hier im Entwurf vorgelegt haben, dafür zu missbrauchen, zu behaupten, dass es sich im gegebenen Fall nicht um eine Verunstaltung, sondern um eine Verschönerung handelt. Wie wollen Sie verhindern, dass sich die Gerichte dann mit so etwas beschäftigen müssen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zurufe von der CDU/CSU)

Deshalb ist das, was Sie hier vorschlagen, nicht geeignet, die bestehenden Probleme zu lösen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Scholz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Gehb?

Olaf Scholz (SPD):
Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Dr. Gehb.

Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Herr Kollege, könnte es sein, dass Sie nicht auf dem neuesten Stand unseres heutigen Beratungsgegenstandes sind? Sie befinden sich noch ein bisschen in der Rechtshistorie. Es geht nicht um die Frage des Verunstaltens, sondern darum, das Erscheinungsbild gegen den Willen des Eigentümers zu verändern. Könnte es sein, dass Sie heute in die falsche Schublade gefasst haben?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Olaf Scholz (SPD):
Ich habe nicht in die falsche Schublade gefasst, sondern mich sehr wohl gut vorbereitet. Deshalb weiß ich, dass Sie den Hinweis, dass man hier Rechtshistorie betreibe, schon jeweils in den letzten Beratungen vorgebracht haben. Das ist also nichts Neues.
Nein, es gibt einmal die Gesetzesvorschläge, über die ich jetzt gesprochen habe, und dann gibt es diejenigen des Bundesrates.

(Zurufe von der SPD, an Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] gerichtet: Stehen bleiben!)

Nein, er kann sich hinsetzen.
Auch der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht. Dieser Vorschlag ist viel besser als das, was die Fraktionen vorgelegt haben; das muss man zugestehen. Er geht in eine vernünftige Richtung. Aber er hat zwei Nachteile, die begriffen werden müssen und die deutlich machen: Auch so geht es nicht.

Zunächst einmal wird dort mit der Formulierung gegen den Willen des Eigentümers oder des Berechtigten gearbeitet. Wenn man sich diese Formulierung einmal genau anschaut, dann stellt man schnell fest, dass es große Unsicherheit darüber gibt, was das eigentlich bedeuten soll. Es stellt sich die Frage, wer da alles gemeint ist. Es stellt sich noch mehr die Frage, ob dieser Wille eigentlich auf irgendeine Weise festgestellt werden kann. Muss man möglicherweise vorher nach dem Willen fragen? Das wäre ja eine ziemlich lächerliche Vorstellung, wenn man sich den Straftatbestand, das Vorgehen und die Ereignisse anschaut, um die es hier eigentlich geht. Deshalb ist schon festgestellt worden: Das ist eine schlechte Formulierung, die man nicht verwenden kann.

Ich glaube, es gibt einen zweiten Gesichtspunkt, der dagegenspricht, so vorzugehen, wie es der Bundesrat getan hat. Er sagt nämlich: All das muss zusammen mit der Sachbeschädigung in einem Atemzug, in einem Satz gelöst werden. Das ist, glaube ich, der Sache nicht angemessen.

Aus diesen Gründen haben wir nach wie vor keine geeigneten Vorschläge. Wir haben das Problem das werden wir noch lösen müssen; darum wollen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns sehr bemühen , dass die gesellschaftliche Konsensbildung noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass es auch für eine gesetzgeberische Mehrheitsbildung reicht. Aber ich glaube, wir werden  noch zu einer Lösung kommen, die die kleine Gesetzeslücke, die existiert, auch schließt.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)