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Olaf Scholz
Bundesregierung
09.01.2025 | Köln

Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln

Sehr geehrte Frau Dr. Grünewald,
sehr geehrter Herr Dr. Vetterlein,
liebe Unternehmerinnen und Unternehmer aus Köln und der ganzen Region,
meine Damen und Herren,

das Wichtigste zuerst: Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen ein frohes und erfolgreiches neues Jahr.

Obwohl dies mein erster Neujahrsempfang hier bei der IHK zu Köln ist, bin ich mir über die große Tradition dieser Veranstaltung ziemlich klar. Und klar ist auch: Für einen Hamburger wie mich ist das hier etwas ganz besonderes Kulturelles. Und diplomatisches Geschick ist gefragt, denn so wie viele andere Kammern in Deutschland auch reklamieren beide, die Handelskammer Hamburg und die IHK Köln, den Titel für sich, die älteste kontinuierlich bestehende Kammer Deutschlands zu sein. Und beide haben Argumente, die für die jeweilige Sicht der Dinge sprechen.

In Hamburg nennt man das Jahr 1665 als Gründungsdatum der sogenannten Commerz-Deputation. Hier in Köln würde man wohl dagegenhalten, dass Kammer nur ist, wo auch „Kammer“ draufsteht. Und tatsächlich wurde die erste Handelskammer als „Chambre de Commerce“ unter Napoleon 1803 hier in Köln gegründet. Manche Stadtchronisten würden vermutlich noch viel weiter zurückgehen, in die Zeit der Kaufmannsgilden oder der berühmten Gaffeln, die hier in Köln seit 1396 die Geschicke der Stadt mitbestimmt haben.

Als Gast in Köln werde ich mich davor hüten, Partei zu ergreifen, zumal hinter dem Wettstreit um die ältere Kammer ja eigentlich große Gemeinsamkeiten stehen: die lange Geschichte Kölns und Hamburgs als große Handels- und Hansestädte etwa, die enorme Bedeutung der Wirtschaft und ihrer Organisationen für die beiden Städte und ihren Wohlstand und damit einhergehend ein besonderer Bürgerstolz, der das Streben nach Gewinn immer verbunden hat mit großem Engagement für die Allgemeinheit. Und beide Städte zeichnet – noch so eine Gemeinsamkeit – eine besondere Liebe zum erfolgreichen Fußball und der Zweiten Bundesliga aus.

Die IHK Köln ist sich bis heute treu geblieben. Und ich danke allen, die sich haupt- und ehrenamtlich in ihren Reihen engagieren.Was man hier in Köln und speziell bei der IHK Köln auch beherzigt: Tradition darf der Modernisierung nicht im Weg stehen – eine Modernisierung, die Sie, liebe Frau Dr. Grünewald, lieber Herr Dr. Vetterlein, entschlossen anpacken, so entschlossen, dass wir uns heute ausnahmsweise nicht im altehrwürdigen Börsensaal der IHK treffen, sondern hier, in der Flora.

Nach diversen Wasserschäden, die in den Vorjahren auch schon manchen Neujahrsempfang bedroht haben, wird die IHK Köln umgebaut und renoviert. Sie haben das gerade schon erwähnt. Und in gewisser Weise steht das als Pars pro Toto für unser Land. Wir sehen an allen möglichen Ecken und Enden, dass zu lange zu viel liegengeblieben ist, manches über Jahrzehnte hinweg. Anders ist es schlicht nicht zu erklären, dass fast alle Rheinbrücken mehr oder weniger gleichzeitig zu Sanierungsfällen erklärt wurden. Kaum eine Büttenrede kommt ohne die obligatorischen Bahnwitze aus. Und die WDR-Staunachrichten klingen zum Teil wie eine Aufzählung aller Kölner Stadtteile samt Vororten.

Aber die gute Nachricht ist: Das kann und das wird sich auch ändern. Wenn es durch die Decke tropft, dann darf man eben nicht abwarten, bis erst der Keller vollläuft. Dann muss man investieren, und zwar sofort. An diesem Punkt stehen wir in Deutschland.

Der frisch gekürte Nobelpreisträger für Wirtschaft, Daron Acemoğlu, hat kürzlich über die deutsche Volkswirtschaft gesagt, ihr größtes Problem sei die bröckelnde Infrastruktur. Der Internationale Währungsfonds, die Wirtschaftsweisen und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sehen das ähnlich – und auch der Bundesverband der Deutschen Industrie und die IHKs im ganzen Land.

Sanierung nach Kassenlage, das können und das dürfen wir uns nicht mehr länger leisten. Es gibt dafür auch gar keinen Grund. Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das kraftvoll in die Zukunft investieren kann, dann Deutschland. Die Staatsverschuldung aller anderen G7-Staaten, also der wirtschaftsstarken Demokratien, liegt bei mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Unsere Verschuldung sinkt gerade auf fast 60 Prozent. Das gibt uns Handlungsspielraum, den wir nutzen müssen, zumal es ja nicht nur darum geht, bestehende Straßen, Brücken, Schleusen oder Schienen zu erneuern.

Weltweit investieren Staaten und Unternehmen derzeit Billionen Euro in Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI), Quanten-, Halbleiter- und Biotechnologie, in saubere Energie und Mobilität, Batterie- und Speichertechnik. Wenn wir als starkes Industrieland da nicht abgehängt werden wollen, wenn wir wollen, dass unsere Unternehmen mitverdienen an diesem gigantischen, weltweiten Modernisierungsprojekt, dann müssen auch wir jetzt massiv in die Zukunft investieren. Dabei denke ich übrigens zuallererst an private Unternehmen, denn die tätigen rund 90 Prozent aller Investitionen in Deutschland.

Es sind Unternehmen wie Ihre, besonders aus dem Mittelstand, die derzeit sehr konkret und jeden Tag vor der Frage stehen, wie sie das hinkriegen: den Betrieb am Laufen halten und gleichzeitig in neue Technologien, in Digitalisierung und energieeffiziente Produktion investieren. Hier setzt mein Vorschlag eines „Made in Germany“-Bonus an. Ähnlich wie in den USA möchte ich, dass der Staat sich an jeder Zukunftsinvestition mit zehn Prozent beteiligt – schnell und unkompliziert, per Steuererstattung. Das sorgt für Investitionen hier bei uns in Deutschland. Das ist finanzierbar. Und das ist allemal besser und zielgenauer, als den Staat bestimmen zu lassen, welche Technologien gefördert werden und welche nicht.

Hinzukommen muss aus meiner Sicht ein Deutschlandfonds, der in Strom- und Wärmenetze, in Technologien wie KI oder den Bau von Wohnungen investiert, der unser Land wirklich auf Vordermann bringt. Beteiligen daran können sich nicht nur der Bund und die Länder, sondern auch Private wie Versicherungen und Pensionskassen. Funktionieren kann das übrigens ohne jede Grundgesetzänderung, wenn den Eigenkapitalbeteiligungen oder Darlehen entsprechende Werte gegenüberstehen, Werte, von denen auch künftige Generationen profitieren.

Und schließlich – auch das gehört dazu –: Wir brauchen eine Modernisierung der Schuldenregel. Mein Vorschlag ist eine Öffnung, begrenzt auf Investitionen in Deutschlands Erneuerung und unsere Sicherheit. Denn spätestens ab 2028 müssen wir unsere Bundeswehr vollständig aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Das macht rund 30 Milliarden Euro zusätzlich – wohlgemerkt pro Jahr. Angesichts der aktuellen Debatten füge ich hinzu: Wenn man bei zwei Prozent oder knapp oberhalb von zwei Prozent liegt. Wenn etwas dazukommt, dann wird es noch mehr.

Klar ist natürlich auch: Investitionen brauchen das richtige Umfeld, die richtigen strukturellen Bedingungen. Auch da müssen wir besser werden. In dieser Legislaturperiode haben wir unser Planungs- und Baurecht von A bis Z durchforstet mit einem einzigen Ziel: die Prozesse für Planungen und Genehmigungen schneller und einfacher zu machen. Erste Erfolge sehen wir zum Beispiel beim Ausbau von Windkraft und Sonnenenergie und der Stromnetze.

Die Beseitigung von Engpässen auf Autobahnen liegt inzwischen „im überragenden öffentlichen Interesse“. Damit kann auch dort schneller geplant und gebaut werden. Fast die Hälfte dieser Nadelöhre liegt übrigens in Nordrhein-Westfalen und davon wiederum ein großer Teil hier im Rheinland. A3, A4, A57, A59 – Sie alle kennen die Staustrecken. Da geht es jetzt mit Ausbau und Sanierung voran, genauso wie auf den Rheinbrücken. Die schlechte Nachricht: Das sorgt jetzt natürlich erst einmal für mehr Baustellen. Aber was wäre denn die Alternative? Zusehen, bis gar nichts mehr geht?

Auch bei der Bahnsanierung gehen wir neue Wege, Stichwort: Riedbahn. Das wird die Blaupause sein, auch für die Strecken Köln–Wuppertal–Hagen und Troisdorf–Koblenz, die wir kommendes Jahr grundlegend sanieren werden.

In Sachen mehr Tempo und weniger Bürokratie sind übrigens auch die Länder gefordert und ganz besonders die Europäische Union (EU). Wir werden Ursula von der Leyen und ihre neue Kommission deshalb an ihr Versprechen erinnern, mindestens 25 Prozent der Bürokratie und der Berichtspflichten abzubauen – je mehr, umso besser. Da gibt es – ich stimme Ihnen zu – keine Zeit zu verlieren.

Ein weiteres großes Thema, das uns alle sehr beschäftigt, ist das Thema bezahlbare, saubere und sichere Energie. Aber wem sage ich das hier, zwischen Wesseling und Leverkusen? Meine Haltung lautet: Pragmatismus muss Vorrang haben vor Ideologie. Konkret heißt das: Wir werden auch in den kommenden Jahren noch Gaskraftwerke und Gasimporte brauchen. Die Voraussetzungen dafür haben wir zum Beispiel mit den LNG-Terminals im Norden geschaffen. Und auch beim Wasserstoff geht es zunächst einmal darum, dass wir genügend Wasserstoff bekommen und der Markt ans Laufen kommt. Ob der Wasserstoff dann grün, blau oder türkis ist, ist erst einmal zweitrangig. Vorfahrt für Energiesicherheit im Industrieland Deutschland! Darauf können Sie sich verlassen.

Wer aus bestimmten Energien aussteigt, der muss in andere kraftvoll einsteigen. Das haben wir schon gehört. Das ist in den vergangenen zehn Jahren leider nicht überall in Deutschland passiert. Dabei war allen klar: Der günstige Strom aus Wind und Sonne wird oft weit weg von den industriellen Zentren hier im Westen und im Süden unseres Landes produziert. Trotzdem wurden Leitungen und Speicher nicht schnell genug ausgebaut. Das sind wir inzwischen entschlossen angegangen. 

Wir haben die Stromkosten massiv gesenkt. Gleich zu Beginn der Legislaturperiode haben wir die EEG-Umlage komplett abgeschafft. Das macht eine Entlastung von rund 20 Milliarden Euro jedes Jahr, die jetzt übrigens im Haushalt verbucht wird. Wir haben die Strompreiskompensation für die Industrie verlängert und ausgeweitet. Und wir haben die Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe sowie die Landwirtschaft auf den europäischen Mindestsatz gesenkt. Was jetzt noch fehlt: diese Stromsteuerentlastung über das nun neue Jahr 2025 hinaus fortzuschreiben und bei den Netzentgelten Sicherheit zu schaffen. Der Entwurf für die weitere Entlastung bei der Stromsteuer liegt im Bundestag. Er kann noch vor der Wahl beschlossen werden. Da fordere ich auch alle auf mitzuhelfen. Das können wir jetzt noch umsetzen.

Ich habe auch einen Vorschlag gemacht, wie wir dauerhaft stabile Entgelte für das große Übertragungsnetz von drei Cent pro Kilowattstunde garantieren können. Auch das kann jetzt beschlossen werden. Erst das Land, dann die Partei, muss das Motto lauten. Das haben wir schon gehört. Ich bin dafür, denn daran hängen Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie.

Ein weiteres strukturelles Problem ist der Mangel an Fachkräften. Ich bin den Industrie- und Handelskammern sehr dankbar, wie sehr sie dieses Thema mit uns zusammen voranbringen. Wir haben in dieser Legislaturperiode eines der modernsten Gesetze für Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland beschlossen. Seit dem 1. Januar sind nun auch endlich die Visaverfahren an den deutschen Botschaften und Konsulaten digitalisiert.

Aber wie bei vielen guten Regeln steht und fällt der Erfolg mit der Umsetzung vor Ort. Deshalb meine Bitte: Lassen Sie uns an dem Thema gemeinsam dranbleiben. Lassen Sie uns auch künftig die Stimme sein für ein weltoffenes Deutschland, das Arbeitskräfte hier bei uns willkommen heißt. Die Offenheit und Toleranz der Kölnerinnen und Kölner ist legendär. Diese Haltung müssen wir verteidigen, denn daran hängt unser Wohlstand. Daran hängt auch die soziale Absicherung der Bürgerinnen und Bürger. Daran hängen stabile Renten, gute Gesundheit und Pflege.

Ein letztes Thema möchte ich wenigstens kurz noch ansprechen, weil es uns im neuen Jahr absehbar stark beschäftigen wird. Kaum eine Volkswirtschaft profitiert so von offenen Märkten und freiem Handel wie unsere. Und der freie Handel ist gewaltig unter Druck. Umso wichtiger ist, dass wir nicht auch den Irrweg in Richtung Abschottung und Protektionismus einschlagen. Ich habe mich von Anfang an klar gegen Zölle der EU auf Elektroautos ausgesprochen, die in China gebaut werden – übrigens Autos, die häufig von europäischen Autobauern stammen. Solche Konflikte sollten wir nicht mit Strafzöllen lösen, sondern im Dialog miteinander.

Wichtig ist auch, dass sich die Europäische Union endlich – nach 25 Jahren – auf ein Freihandelsabkommen mit den Staaten des Mercosur verständigt hat. Das sendet ein starkes Signal für freien Handel auch an den Rest der Welt. Und ich werde alles daransetzen, dass dieses Abkommen schnell in Kraft tritt und weitere Abkommen hinzukommen mit aufstrebenden Ländern in Asien, Lateinamerika und Afrika.

Die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft und als Volkswirtschaft stehen, sind groß. Aber sie sind nicht unüberwindbar. Mit der richtigen Politik, mit Investitionen in die Zukunft, mit einem engen Dialog zwischen Wirtschaft und Politik bringen wir Deutschland zurück auf einen stabilen Wachstumspfad.

Eigentlich wäre meine Rede hier zu Ende. Aber meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Rheinland haben mir noch eine weitere Herausforderung gestellt: „Ohne irgendwas, das sich reimt, lassen sie dich in Köln um diese Jahreszeit nicht gehen“, wurde mir gesagt. „Und ein bisschen was zur anstehenden Bundestagswahl wollen die Leute dort auch gern von dir hören.“

Also habe ich mir ein Herz gefasst. Und das ist jetzt wirklich eine Premiere: meine allererste Mini-Büttenrede. Haben Sie Nachsicht, bitte sehr. Die „Söhne Hamburgs“ haben ein Lied geschrieben und Hamburger darin wie folgt beschrieben: „Manche sagen, wir sind dröge. Doch das ist ’ne glatte Löge. Wir denken vor dem Sprechen nach – wenn’s sein muss, auch ’nen ganzen Tach.“

„Scholzomat“, „Olaf, der Schweiger“, ein Hamburger Jung – das trifft nicht überall auf Begeisterung. Wenn Sie jetzt sagen: Der Scholz taugt nicht für die Bütt – ich will ja auch, dass es anders kütt und ich nicht Büttenreden schreibe, sondern bei meinen Leisten bleibe. Am 23. Februar ist klar, wer, mit wem und wie – ein dreifach Hoch auf die Demokratie! Die erträgt viel Streit und manch groben Verriss. Viel wichtiger bleibt aber der Mut zum Kompromiss. Respektvoll miteinander, ehrlich und klar – kein schlechter Vorsatz fürs neue Jahr.

Deshalb: Frohes Neues und Viva Colonia!