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Foto: Olaf Scholz
Photothek
16.10.2024 | Berlin

Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 17. und 18.

Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Ich werde morgen in Brüssel mit den Staats- und Regierungschefs Europas im Europäischen Rat beraten. Ich werde am Freitag den amerikanischen Präsidenten hier in Berlin treffen. Zwei wichtige Daten für diese Woche, aber zwei wichtige Daten, die sich einreihen in die Politik der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Es gibt ein paar Konstanten unserer Politik. Zu diesen Konstanten gehört die Einbindung in die Europäische Union (EU). Und zu diesen Konstanten gehört auch die enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika, die transatlantische Kooperation und die Einbindung in die Nato. Und das werden auch weiter die Schwerpunkte der internationalen Ausrichtung Deutschlands sein. Das ist wichtig. Und es ist auch bedeutend, das jetzt zu betonen, denn diese Dinge, über die sich viele Parteien in Deutschland über viele Jahrzehnte immer einig waren, werden infrage gestellt.

Es gibt in Deutschland politische Positionen, von der AfD, vom BSW, nach denen diese Einbindungen – die Westbindung, die Einbindung in die Nato und die Einbindung in die Europäische Union – die Probleme für die Zukunft Deutschlands seien. Ich sage: Das ist falsch. Das ist eine Bedrohung unserer Sicherheit. Wir sollten an den Konstanten unserer Außenpolitik, unserer internationalen Orientierung festhalten. Es sind ganz besonders unsere amerikanischen Freunde und unsere Partner in der Nato und der EU, die für Frieden, Sicherheit und Freiheit stehen. Deshalb bin ich sehr froh über die enge Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten, die so lange ausgebaut und entwickelt worden ist. Der amerikanische Präsident Biden steht auch für eine unglaubliche Verbesserung der Zusammenarbeit in den letzten Jahren. Ich freue mich auf seinen Besuch. Und ich bin dankbar für die gute Zusammenarbeit zwischen mir und dem amerikanischen Präsidenten.

In Europa und auch mit dem amerikanischen Präsidenten haben wir vieles zu besprechen – über die großen Krisen und Herausforderungen, vor denen wir stehen. Und eine davon ist der russische Angriff auf die Ukraine, die größte Bedrohung für Sicherheit und Frieden in Europa, die in den letzten Jahrzehnten zu sehen war, eine große Bedrohung, weil Russland – das muss immer wieder neu gesagt werden – mit seinem Angriff auf die Ukraine eine der zentralen Verständigungen der letzten Jahrzehnte infrage gestellt hat, nämlich dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen.

Und deshalb sage ich: Diese Zeitenwende braucht eine klare, feste Antwort. Wir unterstützen die Ukraine und werden das so lange tun, wie es notwendig ist. Deutschland und die USA sind die größten Unterstützer der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität, Integrität und ihrer Demokratie. Und wir werden das weiter bleiben. Damit das möglich ist, diskutieren wir jetzt über viele Formen bilateraler Hilfe und haben das gerade aktuell wieder getan, was Deutschland betrifft. Die USA haben ähnliche Entscheidungen getroffen. Aber es geht auch darum, dass wir langfristig eine klare Botschaft senden, auf die sich die Ukraine verlassen kann, und eine klare Botschaft verkünden, die der russische Präsident nicht überhören kann.

Mit der Entscheidung der wirtschaftsstarken Demokratien, der G7-Staaten, der Ukraine einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit zu geben, ist die Grundlage dafür gelegt, dass wir klar sagen können: Die Unterstützung für die Ukraine durch ihre Freunde wird auch in den nächsten Jahren gewährleistet sein. Wir werden in Europa jetzt und sehr schnell unseren Teil der Entscheidung dazu beitragen, notfalls mit einer eigenen Struktur. Die 35 Milliarden Euro sind von der europäischen Präsidentin Ursula von der Leyen angekündigt. Wir sind in den Gremien dabei, das zu beschließen. Und wir werden das in Europa weiter vorantreiben.

Es ist aber auch – und das will ich sagen – die Zeit, in der wir neben der klaren Unterstützung der Ukraine alles tun müssen, um auszuloten, wie wir es hinbekommen können, dass dieser Krieg nicht immer weitergeht, dass es nicht immer weiter so ist, dass unglaublich viele Frauen und Männer sterben, die Opfer russischer Bomben und Raketen werden, dass Soldaten in diesem Krieg fallen. – Vergessen wir nicht: Auch unzählige russische Soldaten werden jeden Tag Opfer des imperialistischen Wahns des russischen Präsidenten. Auch sie sind Opfer seiner Politik mit dem Ziel, sein Land zu vergrößern – etwas, was es auf diese Art in Europa nicht wieder geben darf.

Deshalb haben wir in den letzten Jahren auch immer wieder Friedenskonferenzen veranstaltet, die in vielen Städten der Welt stattgefunden haben. Wir hatten auf dem Bürgenstock in der Schweiz eine Konferenz, die klar geendet hat mit der Aussage: Es soll eine weitere geben, eine weitere – so hat es der ukrainische Präsident formuliert – auch unter Beteiligung von Russland. Deshalb ist es richtig, dass wir, wenn gefragt wird, ob wir auch mit dem russischen Präsidenten sprechen werden, antworten: Ja, das ist der Fall, denn wir haben klare Prinzipien. Und diese Prinzipien lauten: Es wird niemals Entscheidungen geben über die Köpfe der Ukraine hinweg und niemals ohne Abstimmung mit unseren engsten Partnern.

Gleichzeitig ist es so, dass wir ja nicht nur diesen großen Konflikt in unserer unmittelbarsten Nähe haben, der die Sicherheit und den Frieden in Europa und unsere Sicherheitsordnung bedroht, sondern wir haben auch noch viele weitere Konflikte in der Welt. Man hätte viel aufzuzählen, wenn man sie alle nennen wollte. Aber einer bedrückt uns natürlich besonders: der im Nahen Osten, der sich immer weiterentwickelt. Deshalb hier ein paar klare Aussagen, was dazu zu sagen ist: Die Hamas hat Israel vor etwas über einem Jahr angegriffen. Israel hat das Recht, sich gegen diesen Angriff der Hamas zu verteidigen. Und Israel kann sich auf unsere Solidarität verlassen – jetzt und auch in aller Zukunft.

Ja, wir haben immer gesagt, dass es auch Dinge gibt, die klar sein müssen, zum Beispiel was humanitäre Hilfe betrifft, die nach Gaza gelangt, zum Beispiel was die Frage betrifft, dass immer die Regeln des Völkerrechts beachtet werden müssen, zum Beispiel was die Frage betrifft, dass es eine Perspektive geben muss, die am Ende zu einer Zweistaatenlösung führen kann. Aber die Solidarität bedeutet in diesem Fall immer auch, dass wir Israel in die Lage versetzen und in der Lage halten, sein eigenes Land zu verteidigen. Deshalb haben wir in der Vergangenheit Waffen und Rüstungsgüter geliefert. Deshalb tun wir das. Es gibt Lieferungen und wird auch in Zukunft weitere Lieferungen geben. Darauf kann sich das Land Israel immer verlassen.

Wer den Konflikt sieht, der weiß, dass es viele Opfer gibt – klar, zuallererst diejenigen, die auf entwürdigende Weise von der Hamas getötet, vergewaltigt oder erniedrigt worden sind, aber auch die vielen, die jetzt als zivile Opfer zum Beispiel im Gazastreifen gestorben sind. Es ist ganz, ganz wichtig, auch im Hinblick auf die vielen Familienangehörigen hierzulande, die sich Sorgen machen: Wir fühlen mit allen Opfern von Bomben und Zerstörung. Das gebietet uns die Humanität. Genauso ist klar, was wir jetzt wollen: einen Waffenstillstand, der mit der Freilassung der Geiseln einhergeht und auch umgesetzt werden kann. Der amerikanische Präsident hat dazu ganz konkrete Vorschläge gemacht, die vorgelegt worden sind. Im Norden muss es zu einer Waffenruhe kommen, ganz klar entlang der Resolution 1701 der Vereinten Nationen. Klar ist auch: Wir werden es nicht akzeptieren, wenn der Iran mit Raketen Israel angreift. Das darf nicht passieren. Es darf nicht zu einer weiteren Destabilisierung der Region kommen. Und der Iran spielt mit dem Feuer. Das muss aufhören.

Zu den Themen, die uns miteinander umtreiben müssen, gehört natürlich die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und Europas. Selbstverständlich wird auch das zu beraten sein, wenn wir morgen in Brüssel zusammenkommen. Das ist eine ganz wichtige Sache. Es hat dazu viele Vorläufe gegeben, zum Beispiel den Bericht von Herrn Draghi, in dem sehr viele Fragen zur Innovationsfähigkeit und Modernität Europas aufgeworfen worden sind. Man muss nicht alles teilen, was da drinsteht, aber man muss den Problemaufriss jedenfalls sehr ernst nehmen: Es gibt etwas zu tun, wenn wir eine gute Zukunft in Europa haben wollen.

Deshalb von meiner Seite auch hier die sehr klare Aussage: Europa braucht jetzt eine grundlegende Modernisierung, um wettbewerbsfähig zu sein, wettbewerbsfähig in der ganzen Welt, mit China, mit den USA, mit vielen anderen aufstrebenden Nationen. Deshalb muss die Modernisierung der europäischen Volkswirtschaft einer der zentralen Punkte der Agenda der neuen Kommission werden. Das werden wir jetzt besprechen müssen und muss die Aufgabe für die nächsten fünf Jahre sein.

Wir müssen um jeden Industriearbeitsplatz in Europa kämpfen. Wir müssen darum kämpfen, dass die modernen Technologien in Europa eine eigene Basis haben und sich hier entwickeln können. Deshalb gilt es, den Green Deal zum Beispiel weiterzuentwickeln zu einer Wachstumsagenda für die Industrie. Industriepolitik muss auch im europäischen Haushalt eine Priorität sein, weil es um eine der wichtigen Grundlagen unserer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und um gute Arbeitsplätze geht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich Schlüsseltechnologien in Europa entwickeln, entfalten können und dass sie dort angesiedelt werden. Mit manchen Entscheidungen der Vergangenheit sind die Grundlagen dafür gelegt worden, aber das ist nicht genug.

Selbstverständlich geht es auch darum, dass wir nicht nur darüber reden, sehr viele Berichtspflichten und sehr viel Bürokratie, die aus Europa kommen, abzubauen. Es muss jetzt endlich ernst damit gemacht werden. Es muss zu einem Rückbau von Berichtspflichten und bürokratischen Anforderungen kommen, damit die europäische Wirtschaft wachsen kann und dadurch nicht behindert wird.

Ein ganz zentraler Aspekt für die Zukunftsfähigkeit Europas ist auch die Kapitalmarktunion. Darüber ist in diesem Haus schon oft und immer wieder gesprochen worden, auch im Europäischen Parlament und in vielen anderen europäischen Institutionen. Aber echte Fortschritte sind in letzter Zeit nicht gemacht worden. Das ist ein Problem. Man kann es auch an ein paar Fakten sehen. Es gibt einen Bericht, den die Bundesregierung gemeinsam diskutiert hat, der uns vor Augen geführt hat, dass in ganz Europa über 140 Unicorns entstanden sind und davon etwa 40 in die USA abgewandert sind, weil der Kapitalmarkt dort viel leistungsfähiger ist. Es kann nicht dabei bleiben, dass wir das feststellen, sondern die Kapitalmarktunion muss erste Priorität sein, denn Wachstum mit neuen Innovationen und neuen Unternehmen gelingt nur, wenn der Kapitalmarkt mit Eigenkapitalausstattung dieser Unternehmen die Grundlage dafür schafft. Wir werden das gemeinsam mit Frankreich als einen Schwerpunkt der Arbeit der nächsten Jahre in Europa sehen.

Lassen Sie mich noch hinzufügen: Auch die Handelspolitik muss sich grundlegend ändern. Ich habe das schon wiederholt gesagt: Wir haben die Kompetenz zur Handelspolitik an Europa abgegeben, aber nicht dazu, dass dann keine Handelsverträge mehr abgeschlossen werden. Nun will ich nicht in der Rhetorik einer früheren britischen Premierministerin sagen: Wir wollen das alles wieder zurück. Aber ich will sehr klar sagen: Es kann nicht dabei bleiben. Wir brauchen viele neue Handelsabkommen. Das Mercosur-Abkommen muss jetzt endlich zustande kommen. Ich sage auch: Wir werden nicht akzeptieren, dass es bei diesen langen Hängepartien bleibt.

Deshalb aus meiner Sicht eine klare Aussage dazu, wie da in Zukunft vorzugehen ist: Ich finde, wir müssen es voranbringen, dass Handelsverträge so abgeschlossen werden, dass sie – wie das als Fachausdruck heißt – „EU only“ sind, sodass diese nicht ein Staat aufhalten kann, sondern dass wir ihnen mit qualifizierter Mehrheit zustimmen können. Und wir sollten ausdrücklich dafür kämpfen, dass das, was dann die Zustimmung von Staaten verlangt, zusätzlich in einer weiteren Vereinbarung festgelegt wird, der man beitreten kann und die für die Beigetretenen gilt. Der Stillstand in der Handelspolitik muss zu Ende gehen, wenn Europa seine Bedeutung in der Welt behalten will.

In Europa über Industriepolitik zu sprechen, bedeutet auch, in Deutschland über das zu sprechen, was industriepolitisch notwendig ist. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft im Zentrum Europas. Gerade ist wieder über die Zahlen zu unseren Exporten in die USA berichtet worden – mit all dem, was das aussagt über das, was unser Land kann. Gleichzeitig ist klar, dass wir augenblicklich konjunkturell nicht da sind, wo wir gerne sein wollen. Darüber darf nicht geschwiegen werden. Das muss gesagt werden. Das hat etwas zu tun, liebe AfD, mit einem russischen Krieg. Das hat etwas zu tun mit dem plötzlichen Kappen der Energielieferungen. Das hat etwas zu tun mit der von Russland durch das Kappen der Energielieferungen und der gestiegenen Preise ausgelösten Inflation, aber selbstverständlich auch mit vielen anderen Dingen. Zinsen und Weltkonjunktur wären zu nennen.

Aber eins ist auch ganz klar: In den letzten Jahrzehnten ist hier in Deutschland zu viel liegengeblieben, als dass wir unser gesamtes Potenzial ausschöpfen können. Und in den letzten Jahrzehnten hat sehr viel die CDU/CSU Verantwortung in Deutschland gehabt. Ja, das kann man schon sagen. Dass wir unsere Wachstumspotenziale nicht ausschöpfen können, dass die Potenziale, die wir haben, zu gering sind, das hat etwas damit zu tun, dass man sich lange gedrückt hat, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Und deshalb ist es gut, dass wir damit jetzt Schluss gemacht haben.

Durch den Deutschlandpakt, der so viele konkrete Vorhaben, die zusammen mit den Ländern vereinbart wurden, beinhaltet, ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dass vieles schneller vorangeht, was so lange liegengeblieben ist, insbesondere ab jetzt die Genehmigung von Industrieanlagen. Und wir werden da weitermachen. Aber all das war niemals möglich in der Vergangenheit. Und das ist jetzt anders geworden: durch den beschleunigten Ausbau des Stromnetzes und die Ansiedlung von Produktion für erneuerbare Energien, damit der Ausbau von Windkraft- und Solarenergie endlich vorankommt in Deutschland; durch Ansiedlungen, die hier stattgefunden haben; durch eine klare Angebotsorientierung, wie zum Beispiel beim Pharmapaket, das Milliardeninvestitionen in Deutschland auslöst und ausgelöst hat; dadurch, dass wir es möglich machen, dass die Fachkräftepotenziale dieses Landes genutzt werden, auch durch die Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland, neben dem, was wir hier in Deutschland aus dem Arbeitsmarkt rausholen können; und durch die Wachstumsinitiative, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und deren Bestandteile jetzt fast jede Woche als Gesetzesvorschläge den Bundestag erreichen. Alles das muss weitergehen.

Klar ist aber auch: Wir müssen ganz besonders um die Industrie hier in Deutschland kämpfen. Darüber wird richtig berichtet. Deutschland ist ein Industrieland. Wir sind nicht wie viele andere der Verlockung erlegen, die gesagt haben: Industrie kann man abschreiben, Finanzplätze sind das Einzige, was man braucht. Schauen Sie sich um, was aus den Ländern geworden ist, die genau diese Entscheidung getroffen haben! Und darum müssen wir jetzt zusammen mit der Industrie, an der Millionen Arbeitsplätze hängen, darum kämpfen, dass wir diese Grundlage unseres Wohlstands erhalten.

Ich bin also dafür, dass wir über das hinaus, was wir alles schon auf den Weg gebracht haben, eine neue industriepolitische Agenda vereinbaren, von der alle profitieren. Und ich bin dafür, dass das nicht hier vom Redepult im Deutschen Bundestag verkündet wird, sondern dass das etwas ist, um das wir gemeinsam kämpfen und woran wir gemeinsam arbeiten. Deshalb sage ich hier: Ich werde Unternehmensvertreter, Indus-triegewerkschaften, Industrieverbände noch in diesem Monat zu einem Gespräch ins Kanzleramt einladen, bei dem alle zusammenkommen und bei dem wir genau diese Dinge beraten, die notwendig sind. Und ich werde diesem Parlament vorschlagen, das, was dabei herauskommt, auch auf den Weg zu bringen, damit es vorangeht in Deutschland.

Wir brauchen keine Vorhalte, sondern Unterhaken. Wir brauchen Sozialpartnerschaft. Wir brauchen die notwendigen Dinge, die zu tun sind, damit es eine gute Zukunft gibt, so wie wir das zum Beispiel bei den explodierenden Preisen mit der Inflationsprämie gemacht haben. Wir brauchen keine Politik über die Köpfe hinweg, sondern einen Schulterschluss und eine Zusammenarbeit. Das ist aus meiner Sicht übrigens auch eine Frage des Respekts – das will ich hier ganz klar und deutlich sagen –, Respekt vor denjenigen, die arbeiten, die wir immer wieder gezielt entlasten. Deshalb hier klar und unmissverständlich: Wir haben uns entschlossen, dass wir auch 2025 die Steuerfreibeträge anheben, das Kindergeld anheben, dass wir die kalte Progression ausgleichen. Das wird diese Regierung auf den Weg bringen. Eine vierköpfige Familie mit Durchschnittsverdienern wird um 300 Euro entlastet werden.

Schulterschluss und Respekt vor denen, die arbeiten, heißt übrigens nicht, dass man sie alle jeden Morgen einmal als faul beschimpft, wie das in der Union offenbar Mode geworden ist. Herr Merz kann gar nicht aus dem Bett steigen, ohne einmal zu sagen: „Hier wird zu wenig gearbeitet“ – und das bei der größten Zahl von Erwerbstätigen, die es in Deutschland überhaupt gab, und bei einer Zahl, die immer wieder verschwiegen wird. Schauen wir auf die Vollzeitbeschäftigten: Deutschland liegt mit 40,4 Stunden nämlich genau im Mittelfeld der Europäischen Union. Dass wir gefälschte Zahlen sehen, liegt daran, dass die Familienpolitik der Union immer schlecht war für Familien mit Kindern, dass es nicht genug Kitaplätze gibt, dass es nicht genug Ganztagsangebote gibt, dass es nicht genug familienfreundliche Angebote gibt. Jeden Tag müssen sich in diesem Land Familien damit herumschlagen, wie sie arbeiten können. Und dann hören sie im Fernsehen, dass sie faul seien, obwohl sie Arbeit und Kinder zusammenbringen müssen. Das ist die falsche Haltung! Verehrter Herr Merz, Leistungsträger sind in dieser Gesellschaft nicht nur diejenigen, die ein paar Hunderttausend Euro verdienen. Auch das ist mir wichtig, hier an dieser Stelle zu sagen.

Eine der Grundlagen, über die wir mit der Industrie und den Unternehmen sprechen müssen, ist natürlich die Frage, wie wir in dieser Zeit der Veränderung bezahlbare günstige Energie haben. Das muss unideologisch diskutiert werden. Da ist Pragmatismus angesagt. Deshalb ist es richtig, dass wir die erneuerbaren Energien entfesselt haben, dass wir eine Verbesserung bei dem so stockenden Netzausbau hingekriegt haben. Aber wir müssen mehr machen. Die erneuerbaren Energien werden durch den Ausbau des Wasserstoffnetzes begleitet werden müssen, den wir auf den Weg gebracht haben. Privatwirtschaftliche Investitionen in Höhe von über 20 Milliarden Euro werden vorbereitet. Aber natürlich brauchen wir für eine längere Übergangsphase Gas. Und das haben wir möglich gemacht mit neuen Terminals, mit dem Ausbau der Infrastruktur im Land. Und wir werden das auch weiter möglich machen. Wir werden uns nicht verheddern in Farbenlehre oder darin, was wann, zu welchem Zeitpunkt genau kommt.

Wenn der Umbau der Stahlindustrie pragmatisch festgelegt werden kann, werden wir pragmatische Lösungen finden, denn die Unternehmen müssen im Wettbewerb bestehen. Dazu gehört auch die Carbon-Managementstrategie mit den Möglichkeiten zur CO2-Abscheidung. Und dazu gehört auch, dass wir alles dafür tun, dass die staatlichen Belastungen beim Strompreis für diejenigen, die sehr viel Strom brauchen, reduziert werden – und für alle anderen auch. So ungefähr 20 Milliarden Euro gibt es jetzt jedes Jahr im Bundeshaushalt, um die EEG-Umlage zu ersetzen, damit sie den Strompreis für Bürger, Mittelstand und große Unternehmen nicht belastet. Wir haben die Stromsteuer für Produktion und Gewerbe auf das Mindestmaß gesenkt. Wir haben durch die CO2-Preiskompensation Entlastungen geschaffen. Das alles führt dazu, dass Unternehmen, die sehr viel Strom verbrauchen und die davon Gebrauch machen können, durchaus wettbewerbsfähige Strompreise haben können.

Aber es sind nicht genügend davon umfasst. Und deshalb muss es eine große Klarheit geben, dass wir an dieser Stelle etwas ändern, dass von der Kompensation des CO2-Preises mehr Unternehmen, insbesondere im Bereich Chemie und Gas, profitieren, auch im Bereich der Metallindustrie, dass von den Netzentgeltbefreiungen mehr Unternehmen profitieren, damit sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Denn wenn Strom eine solche Bedeutung hat, darf er eben auch nicht zu teuer sein.

Das bedeutet auch, dass wir Klarheit haben müssen, was die Netzentgelte betrifft. Darüber kann man viel diskutieren und jeden Tag etwas sagen. Aber ich will einmal aus meiner Sicht die Grundlage dafür nennen, warum wir das diskutieren müssen. Früher sind Fabriken dort gebaut worden, wo die Kohle gelagert worden ist. Und das hat in bestimmten Regionen über lange Zeit zu einem großen Aufschwung geführt. Oder es standen andere Kraftwerke in der Nähe, und es hat funktioniert. Jetzt, wo Deutschland 2030 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren bekommen wird, in den 30er Jahren 100 Prozent, und damit günstige Strompreise möglich machen kann, darf aber die Distanz zwischen den Produktionsorten nicht am schlechten Netz, das wir von Ihnen geerbt haben, scheitern. Aber Sie darf auch nicht daran scheitern, dass die Preise für diese Distanzüberwindung zu hoch sind. Deshalb müssen wir einen Mechanismus, wie wir ihn auch in der Wachstumsinitiative beschrieben haben, auf den Weg bringen, der dafür sorgt, dass es keine Explosion der Netzentgelte im Übertragungsnetz geben wird. Darauf können sich die Unternehmen in Deutschland verlassen.

Das gilt übrigens auch für die Handelspolitik; das will ich hier sagen. Wir haben das CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism). Aber wir müssen auch möglich machen, dass es Erstattung gibt, wenn die Schutzmaßnahmen in Europa gelten. Für mich bedeutet das, dass jemand nicht diskriminiert sein darf bei seinem Export in das außereuropäische Ausland. Wir müssen genau hinschauen, ob die Reduzierung der Freizuteilung nicht zu schnell geht, wenn diese Dinge nicht gelingen, die wir uns da vorgenommen haben. Aus meiner Sicht bedeutet das auch, dass wir uns um Stahl, Chemie und Pharma kümmern, aber auch um die Autoindustrie, über die jetzt überall diskutiert wird. Deshalb will ich klar sagen: Unser Ziel muss sein, dass wir die besten Autos bauen, die auf den internationalen Märkten konkurrieren können, auch gerade, was Elektromobilität betrifft. Das wollen wir aber nicht mit irgendwelchen Zöllen erreichen, sondern dadurch, dass wir faire Handelsbedingungen herstellen.

Es gibt Bereiche, wo Schutz notwendig ist, wie zum Beispiel beim Stahl. Und es gibt auch Bereiche, wo die Industrie und die Unternehmen und die Arbeitnehmer danach fragen. Ausgerechnet die Autoindustrie war es nicht. Ich habe mit den Chefs von BMW, Volkswagen, Opel, Ford, Mercedes und vielen anderen gesprochen. Sie alle haben gesagt: Nein, das wollen wir nicht. – Deshalb haben wir uns entsprechend verhalten in Brüssel. 17 Staaten waren auch skeptisch. Meine Forderung ist: Daraus muss jetzt ganz unideologisch eine Verständigung mit China und der EU kommen.

Aber wir unterstützen weiter beim Hochlauf. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir ein Deutschlandnetz haben mit vielen Ladepunkten, dass an den Tankstellen überall Schnellladestellen sind – das Gesetz wird hier beraten –, dass die Lkws Schnellladepunkte an vielen Standorten finden, dass wir netzunabhängige Ladestationen haben. Und wir brauchen für die Automobilindustrie in dieser Zeit gute Signale. Unterwegs sind schon die Vorschläge für Abschreibungen für Unternehmen, die Elektrofahrzeuge kaufen. Unterwegs ist schon die Verbesserung bei den Dienstwagen – ein wichtiges Zeichen, da doch so viele Autos auf diese Weise in den Markt gelangen.

Aber wir müssen weiter gucken, was hilft, ohne dass wir mit deutschem Steuergeld Arbeitsplätze in anderen Ländern fördern. Genau darüber will ich mit den Unternehmen und den Gewerkschaften sprechen. Wir brauchen einen Pakt für Industriearbeitsplätze in Deutschland. Es gibt Bereiche, da müssen wir noch kämpfen. Apple, Microsoft, Amazon, Meta, OpenAI, das sind alles keine deutschen oder europäischen Unternehmen. Damit ist auch gesagt, wo wir noch etwas verändern müssen in Deutschland und Europa. Und das werden wir diskutieren. Aber eins ist klar: Forschung und Entwicklung müssen eine zentrale Rolle spielen. Auch das ist eine der Maßnahmen unserer Wachstumsinitiative. Wir wollen weiter, dass Deutschland dadurch wächst, dass es neue Dinge entwickelt und die Forschung voranbringt.

Das, was Deutschland starkgemacht hat neben der Industrie, der Forschungsorientierung, den starken Exporten und der hohen Leistungsfähigkeit, waren immer die Sozialpartnerschaft und die enge Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit. Das sollte nicht schlechtgeredet werden. Das ist die Grundlage unseres Erfolgs – auch für die Zukunft. Deshalb will ich ganz klar sagen: Mit dem, was wir auf den Weg gebracht haben, sind die Grundlagen geschaffen. Wir haben jetzt viele Dinge, die Arbeit attraktiver machen, auf den Weg gebracht. Gute Bezahlung und ein ordentlicher Mindestlohn, das gehört dazu – da will ich keinen Zweifel lassen –, Mitbestimmung und Tariftreue auch.

Aber das muss aus meiner Sicht ganz klar sein, wenn wir über die Zukunft Europas und Deutschlands diskutieren: Diese Zukunft gewinnen wir durch wettbewerbsfähige Technologien, durch Investitionen, durch gute Bildung, dadurch, dass möglichst viele produktive und gut bezahlte Arbeitsplätze haben, aber nicht durch Sozialabbau, Rentenkürzungen und erzwungene Mehrarbeit für alle, sondern durch echte Partnerschaft in einer fleißigen Gesellschaft.

Schönen Dank.