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31.10.2013

Senatsempfang IBA Finale

Senatsempfang IBA Finale

 

 

Sehr geehrte Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrter Herr Hellweg,
sehr geehrte Preisträger,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Hier beginnt das Morgen. So euphorisch titelte Die Zeit 2009 über die Internationale Bauausstellung, kurz vor der Halbzeitbilanz. Die Wochenzeitung schrieb damals auch:

Am Ende der Operation am offenen Leib wird man nicht viel Spektakuläres sehen.

Das beweist wieder einmal, wie schwierig Prognosen sind. Die Zukunft kann sich schnell ändern, um mit dem Schriftsteller Umberto Eco zu sprechen. Bestes Beispiel dafür ist Wilhelmsburg. Hier ist Spektakuläres entstanden und damit meine ich nicht nur die Architektur. Ich freue mich deshalb ganz besonders, Sie heute Abend zu diesem Senatsempfang begrüßen zu können.

Meine Damen und Herren,
heute schreiben Zeitungen von Bullerbü in Wilhelmsburg und loben das unglaubliche Potenzial und die Dynamik von Hamburgs einst vergessener Insel.

Wilhelmsburg ist Beweis dafür, dass sich sozialer Wandel organisieren lässt. Aber der braucht Zeit, Ideen, Investitionen und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für ihren Stadtteil.

In Wilhelmsburg haben sich Viele engagiert, aus Sorge, zuweilen Wut über soziales Abgehängt-werden, und aus dem Wunsch heraus, der Perspektivlosigkeit ein Ende zu bereiten. Zu schade für Containergebirge, zu schade für Slum- und Ghettobildung, für Städtebau ohne Pfiff und Fantasie sei Wilhelmsburg ich zitiere das aus dem Weißbuch der Zukunftskonferenz 2002, ohne dass ich jeden der genannten Begriffe damals als gerecht und differenziert empfunden hätte. Gleichviel, die Lage und die Stimmung waren so, wie sie waren.

 

Ein Experiment begann, in dessen Verlauf die Elbinsel zum Labor wurde für Stadtentwicklung und für zukünftiges Wohnen. Eine gelungene Operation, um das Bild vom Anfang aufzunehmen. Der soziale Härtefall Wilhelmsburg wurde zum Weltquartier, zur Attraktion für Städteplaner aus aller Welt, ein Ort, an dem die Zukunft heute schon gelebt wird. Die Zahl der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten nimmt zu, ebenso die der Abiturienten. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss auch.
Initialzündung war das 2004 aufgelegte Sonderinvestitionsprogramm Hamburg 2010, aus dem die IBA 90 Millionen Euro erhalten hat. Das Startkapital hat eine Milliarde an Investitionen ausgelöst private Mittel, städtische zum Beispiel für Bildungsbauten , Bundesmittel für die Modernisierung des S-Bahnhofs, EU-Mittel für den Energieberg oder den Welt-Gewerbehof.

In keinem Stadtteil Hamburgs außer in der HafenCity wurde in den vergangenen Jahren mehr investiert. Nie zuvor wurde ein vergleichbares Zukunftskonzept für ein großstädtisches Quartier erarbeitet. Damit verbunden war der Paradigmen-wechsel: Weg von der Siedlungsentwicklung im Speckgürtel hin zum Wachstum im Herzen der Stadt. Hin auch, selbst wenn das noch eine Zeitlang umstritten bleiben sollte, zu mehr Dichte und höheren Gebäuden. Für alle, die damit noch hadern, der Hinweis: Hamburg ist auf die Fläche bezogen immer noch eine der am wenigsten dicht besiedelten deutschen Großstädte.

Mit der IBA wurden die Elbinseln zum Modellfall für Stadtentwicklung. Mit ihrem Doppelmotto Wohnen heißt bleiben und Aufwerten ohne zu verdrängen, hat die IBA Hamburg frühzeitig die dauerhafte und handfeste Aufwertung der Elbinseln verfolgt, und die Bewohner einbezogen.

Das Ergebnis ist, dass man hier am lebenden Beispiel Wilhelmsburg sehen kann, wie sich angeblich gar nicht angesagte Stadtteile doch attraktiv machen lassen. Und gleichzeitig: Wie man endlich mittelalterliches Denken hinter sich lässt. Das gibt es ja noch! Es gibt ja noch das heimliche Konzept von Stadtentwicklung. Vergessen wir nicht: Bis in das 19. Jahrhundert wurde an Hamburgs Grenzen ein "Sperrgeld" erhoben.

Das Sperrgeld will wohl niemand wieder einführen, aber ein gewisses Denken, dass diejenigen, die sich das Leben in der Stadt nicht leisten können, sich dann eben außerhalb ansiedeln müssen, gibt es hier und da noch. Dass sie damit leben müssen, verdrängt zu werden. Das ist aber nicht unser Konzept, nicht das der IBA. Sie hat gegen die Segregation gewirkt und damit die richtige Antwort gefunden.

Das findet übrigens einen sehr schönen symbolischen Ausdruck im Abbau des Zollzauns. Am Spreehafen haben jetzt Eingesessene, Zugezogene und Besucher denselben weiten Blick: über die grüne Stadt am Wasser, die gleichzeitig eine Stadt der Industrie und des Gewerbes, des Ankommens und Bleibens ist. Eine kosmopolitische Stadt, eine Stadt, in der man hervorragende Bedingungen zum Arbeiten und zum Wassersport vorfindet. Ich weiß, wovon ich rede. Das ist städtebauliche Qualität, die ist hier geschaffen worden, und so machen wir weiter, auch im Osten Hamburgs, auch in den neuen Stadtteilen, die im Entstehen sind.

In Wilhelmsburg ist der Erfolg sichtbar und zählbar. Seit 2006 ziehen mehr Menschen auf die Elbinseln als von dort weg. Zum Durchlauferhitzer für Immobilieninteressen ist Wilhelmsburg trotz der vielen schicken neuen IBA-Häuser nicht geworden. Im Durchschnitt muss ein Hamburger Haushalt in anderen Stadtteilen drei Euro mehr Miete pro Quadratmeter bezahlen.

Preiswerter Wohnraum ist in Wilhelmsburg und auf der Veddel insbesondere bei den Gebäuden aus den 1970er und 1980er Jahren weiterhin zu finden. Fast jede dritte Wohnung in Wilhelmsburg und jede fünfte auf der Veddel ist eine Sozialwohnung.
Allerdings macht die angespannte Wohnungsmarkt- situation in Hamburg auch vor den Elbinseln nicht halt. Ziel der Stadtentwicklung muss deshalb die Entwicklung aller 104 Stadtteile sein für alle. Wie gesagt: für Leute mit viel Geld und solche mit wenig Geld hat die IBA mit ihrer Entscheidung gegen Segregation Maßstäbe gesetzt.

Weil wir keine Verdrängung der weniger Betuchten in die Außenbezirke, sondern den Preisdruck auf dem Wohnungsmarkt verringern wollen, werden die jährlich 6.000 neuen Wohnungen, die wir jedes Jahr bauen wir sind dabei , dringend gebraucht.

Einen großen Teil der im Rahmen der IBA entstandenen neuen Wohnungen haben übrigens Baugemeinschaften errichtet. Es gibt in weiten Teilen der Bevölkerung eine Nachfrage nach ebenso nachbarschaftlichen wie kostengünstigen Wohnformen. Auch dieses Bedürfnis sollte weiterhin beachtet werden.

 

Meine Damen und  Herren,
ein Ziel der IBA war es, neue Bevölkerungs-gruppen anzusprechen. Auf die Elbinseln zieht vor allem die hochmobile Gruppe der 18- bis 30-Jährigen aus kreativen Berufen, Studenten, Auszubildende und solche, die wegen einer Ausbildung von außerhalb hierher kommen.
Das, und eine überdurchschnittliche Geburtenrate tragen dazu bei, dass der Stadtteil sich verjüngt. Das Durchschnittsalter in Wilhelmsburg liegt bereits heute mit 38 Jahren fast fünf Jahre unterhalb des Hamburger Durchschnitts.

Wilhelmsburg ist ein Ankunftsort, schon lange. Während der Industrialisierung vor dem 1. Weltkrieg kamen katholische Arbeiter aus Polen, dann im Wirtschaftswunder der 1960er Jahre Italiener, Portugiesen und Türken. Auf sie folgten in den Jahrzehnten danach Flüchtlinge aus Bürgerkriegen in Südosteuropa und Afrika.

Ankunftsorte brauchen eine eigene Infrastruktur. Projekte wie das moslemische Seniorenwohn- und Pflegeheim Veringeck, der Welt-Gewerbehof für migrantische Unternehmen und Existenzgründer haben den Bewohnern mit Einwanderungsbiographie in Wilhelmsburg eine Perspektive gegeben, zu bleiben und persönlich weiterzukommen.

Darum geht es: die Selbsthilfe- und Selbstorganisationskräfte auch der Neuankommenden zu unterstützen und zu fördern. Dazu brauchen wir weitere Flächen für kleines Gewerbe, bezahlbare Mieten und die gezielte Förderung von bildungspolitischer Inklusion. Ab 2014 wird es in jedem Bezirk eine Jugendberufs-agentur geben, die junge Frauen und Männer bei der Berufswahl berät, begleitet und fördert.

Auch die Kooperation mit ortsansässigen Betrieben, der Hafenwirtschaft und Logistik muss weiter ausgebaut werden, damit alle eine berufliche Chance erhalten. Die Nähe von Wohnen und Arbeiten in Wilhelmsburg ist eine Chance für die Entwicklung des Stadtteils als Ankunftsort.

Die Fähigkeit der Bildungseinrichtungen der eng vernetzten Bildungslandschaft, die hier in den vergangenen Jahren entstanden ist, insbesondere der Schulen zu einer erfolgreichen Inklusion von Kindern aus bildungsfernen und migrantischen Familien spielt eine besondere Rolle. Attraktiv müssen die Angebote in Wilhelmsburg aber auch für bildungsbewusste Bevölkerungsschichten sein.
 
Meine Damen und Herren,
die Entscheidung für die IBA war eine Riesenchance, in einem Gebiet in unmittelbarer Nähe der Innenstadt zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beizutragen.

Im Rahmen der IBA sind 1.200 neue Wohnungen entstanden, mehr als 500 energetisch modernisierte Wohnungsbau-Ensembles und mehr als 100.000 Quadratmeter Flächen für Dienstleistungen und Büros. Damit hat sich Wilhelmsburg, dieses amphibische metropolitane Patchwork aus Grün und Wasser, Landschaft in der Stadt, aus Gewerbe-, Industrie- und Brachflächen als Innovationsquartier auch international einen Namen gemacht.

Übrigens: Auch künftig wird Gewerbe und Industrie zu Wilhelmsburg gehören. Das Konzept der Metrozone steht für ein gelungenes Nebeneinander und nicht für das Verdrängen von Gewerbe und Industrie als Maßnahme der Stadtaufwertung. Das würde Wilhelmsburg und seinen Bewohnern schaden. Hingegen besteht heute erstmalig seit den 1920er Jahren die Chance, den latent schwelenden Konflikt zwischen Stadt und Hafen zu lösen; Arbeit, Industrie, Handel, Dienstleistungen und lebenswerten Wohnraum in einer Metrozone zu verwirklichen.
Eine Vielzahl der im Rahmen der IBA entstandenen Wohnungen sind innovative, zukunftsfähige Bauten, die es jetzt vom Prototyp zur Serienreife weiterzuentwickeln gilt. In den nächsten Jahren können nach derzeitigem Stand weitere 5.000 Wohnungen auf den Hamburger Elbinseln und im Harburger Binnenhafen gebaut werden.

Acht neue Bildungseinrichtungen, davon vier Bildungszentren, bereichern den Stadtteil, dazu ein Studentenwohnheim, zwei Kindertagesstätten, eine Sport-, Schwimm- und Kletterhalle, Brücken, Fährverbindungen, Rad- und Wanderwege.

Auch die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße auf eine Trasse neben der Bahn, für die im August der erste Spatenstich erfolgt ist, wird die Lebensqualität in Wilhelmsburg erhöhen. Bis an die Elbbrücken wird die U4 führen, mit Umsteigemöglichkeit in die S-Bahn Richtung Wilhelmsburg oder umgekehrt in die HafenCity.

Am Berta-Kröger-Platz ist ein Einzelhandelszentrum, am Veringhof ein Supermarkt entstanden. Gerade hat in einem ehemaligen Fabrikgebäude das Künstlerhaus Veringhöfe mit Ateliers, Werkstätten und Ausstellungsräumen eröffnet. Alles wurde von vielfältigen Beteiligungsverfahren begleitet.

Mit dem, was aus dem Konzept Erneuerbares Wilhelmsburg entstanden ist, hat Hamburg international einen Vorsprung im energetischen Stadtumbau erreicht, der Avantgarde ist.
Der Ansatz, dezentrale Energiequellen und Speichertechnologien zu nutzen und gleichzeitig innovative Konzepte für die energetische Effizienzsteigerung des Bestandes zu entwickeln, auch von denkmalgeschützten Gebäuden, hat geradezu paradigmatische Wirkung entfaltet wie die internationale Mehrfachauszeichnung des Klimaschutzkonzeptes bewiesen hat.

Dass Hamburg weltweit an der Spitze des energetischen Stadtumbaus bleibt, dafür stehen die zentralen Bausteine des Konzeptes Erneuerbares Wilhelmsburg im Hamburger Klimaschutzkonzept 2013.

Jetzt gilt es, den Schwung des Sprungs über die Elbe mit in die Zukunft zu nehmen, mit dem know how der IBA, aber ab 2014 im Rahmen einer Nachfolgegesellschaft und mit einer etwas anderen Richtung. Noch mehr als bisher sollen die Themenbereiche Bildung, Kultur, Zusammenleben und Freizeit sowie die Selbstorganisation im Stadtteil im Mittelpunkt stehen.

Dazu gehört auch, die in den vergangenen Jahren gewachsenen Beteiligungsmodelle und Netzwerke zu erhalten und in den Entwicklungsprozess zu integrieren.

Meine Damen und Herren,
Nur dann, wenn die strengen Exzellenzkriterien erfüllt sind, wird ein Projekt auch als IBA-Projekt zertifiziert. IBA-Projekte sollen Multi-Talente sein, oder sich durch besondere Strukturwirksamkeit auszeichnen, heißt es in den Anforderungen. Was sich genau dahinter verbirgt und welche Schritte ein Projekt durchlaufen muss, damit es anerkannt werden kann, das wird Uli Hellweg, Geschäfts-führer der IBA, näher erläutern, damit wir die Leistungen derjenigen, die gleich mit dem IBA Exzellenz Zertifikat ausgezeichnet werden, noch mehr schätzen können.

Vielen Dank bis hierhin.

 

Es gilt das gesprochene Wort.