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20.03.2013

Senatsfrühstück für Ralph Giordano

Senatsfrühstück für Ralph Giordano

 

Lieber, sehr verehrter Ralph Giordano,

 

wenn ein Mann wie Sie, ein geschätzter Mitbürger und leidenschaftlicher Sich-Einmischer, eine Institution 90 Jahre alt wird und dann noch jemand, dem gern und oft Attribute wie streitbar, zuweilen auch umstritten angeheftet werden, die wenig geistreich sind, aber irgendwie ja auch stimmen dann soll man mit dem Gedanken einer umfassenden Würdigung in fünf Minuten gar nicht erst spielen.

Sondern die eigenen Gefühle und Konnotationen zulassen, die sich mit Ihnen, Herr Giordano, verbinden, wann immer Ihr Name im Gespräch oder in den Medien auftaucht.

Meine haben etwas mit Ihrer Unbeirrbarkeit zu tun, mit Verletztheit und ungeheurer Widerstandskraft, mit Zorn und unbestechlicher Intelligenz. Es ist, als ob diese unglaubliche Energie, mit der Sie die Welt verstehen wollen und erklären wollen , auch eine Quelle in Ihren Verwundungen hat, vielleicht sogar die wichtigste Quelle.


Wie ein zorniger junger Mann, wie eine neunzigjährige junge Seele, empören Sie Sie sich, gehen in Aktion, sprechen und schreiben gegen all das an, was Sie als Gefahr für unsere humanistischen Werte, als Gefahr für die Freiheit und als Gefahr für Ihr schwieriges und widerspenstiges Geburtsland, für Deutschland, sehen. Sie haben sich in all diesen neunzig Jahren an kein Unrecht gewöhnt. Sie sind unverbesserlich uncool, wenn es um das geht, was Ihnen am Herzen liegt.

 

Liebe Gäste: Sie werden mir vielleicht zustimmen, dass wir gerade bei denjenigen, denen andere Exemplare der Gattung Mensch am schlimmsten mitgespielt haben, nicht selten jenen ungebrochenen Optimismus finden, jenen Glauben an die Möglichkeit, die Barbarei zu überwinden.

 

Sie, sehr geehrter Herr Giordano, haben niemals die eigene Person, die eigenen Emotionen ausgesperrt. Damit haben Sie sich auch Feinde gemacht, aber, das wissen Sie selbst am besten, die Freunde, die Sie sich gemacht haben, wiegen sehr viel schwerer.

 

Sie waren niemals nur nüchterner Publizist. Aber Publizist waren und sind Sie mit allem, was dazu gehört: mit Leib, Seele, analytischem Verstand, natürlich auch dem handwerklichen Können und der Lust, dieses anzuwenden und damit zu experimentieren.

In Ihrem Buch Ostpreußen ade zum Beispiel kombinieren Sie alles in einer Weise, die den Leser... ja, mitreißt. Scheinbar harmlos lassen Sie ihn, oder sie, in die dortige Landschaft eintauchen, die Sie lieben, bemerken als Mann des Films den Lichteinfall, den genau jetzt und hier eine Kamera einfangen müsste. Das ist das retardierende... oder eigentlich: der retardierende Moment.

Bevor es weitergeht mit Ihrer Tour de Force durch das dornige Themen-Geflecht aus Flucht, Vertreibung, Umsiedlung, ethnischer Säuberung, wie erst später, 1992, das Unwort des Jahres lauten sollte; mit dem Zyklus aus Verlust, neu Ankommen und doch oft nicht wirklich. Denn darum geht es ja in erster Linie. Sie lassen Polen, Deutsche, Ukrainer erzählen, zeigen Analogien und Unterschiede, lassen uns an Ihrer Empathie und Erkenntnis teilhaben.

 

Wer die aufeinander folgenden Kapitel Charta der Verdrängung und Die Charta des Lew Kopelew gelesen hat, und dann noch das mit dem bezeichnenden Titel Wir haben unsere Koffer nie so richtig ausgepackt, wird fortan keinen gedankenlosen Unsinn über diese Thematik mehr reden wollen. Hoffentlich.   

 

Die Suche nach Heimat, das heißt bei und für Ralph Giordano, wie ich glaube, dreierlei:

von überall dort zu berichten, wo Heimat verloren ging und geht, wo Hoffnungen zerstört und Menschenrechte missachtet werden;


zu Deutschland als Heimat hinzupilgern, auch wenn es vielleicht nie gelingt, dort wieder anzukommen. Beharrlich und unermüdlich arbeiten Sie daran, dieses Land, diesen Staat zu Ihrem eigenen zu machen. Unschätzbare Resultate hat das für unsere politische Kultur hervorgebracht, das qualvolle Sich-Losreißen, das gleichzeitige, wie Giordano sagt, "Angenagelt-Sein" an dieses Land.

 

Und drittens heißt Ihre Suche nach Heimat, zur eigenen Jugend, zur Familie, zur Identität vor allem Ihrer jüdischen Vorfahren zu finden.

 

Verehrter Herr Giordano, Sie haben immer wieder gesagt und geschrieben, wie sehr Ihnen immer noch das Herz klopft, wenn Sie sich von ihrem Wohnort Köln aus der Hansestadt nähern. Sie waren immer zur Stelle, wenn Hamburg oder Ihre Freunde in Hamburg Sie gebraucht haben. Auch im vergangenen Juni auf dem Rathausmarkt, um gegen den rechten Terror, der in noch nicht ganz aufgeklärter Weise so lange ungestört blieb, aufzutreten. Sie haben mit dem typisch Giordano´schen Satz geendet:

 

Ich spreche hier nicht als jüdischer Racheengel oder verlängerter Arm des strafenden Jehova, sondern als einer, der sich sein ganzes Leben herumgeschlagen und herumgeplagt hat mit der Last, Deutscher zu sein - deutscher Jude oder jüdischer Deutscher - und der diese Last nicht abwerfen kann und nicht abwerfen will.

 

Versöhnungsbereit gegenüber jedem, der sich ehrlich müht, auch gegenüber jedem ehemaligen Nazi, der das tut, doch absolut unversöhnlich gegenüber jeder Art von Unbelehrbarkeit.

 

Das ist so großherzig wie klug. Mein Leben, haben Sie auf den Titel ihrer Tagebuch-Erinnerungen geschrieben, ist so sündhaft lang. Bitte lassen Sie uns an dieser Sünde weiterhin intensiv teilhaben.

 

Es gilt das gesprochene Wort.