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23.08.2012

Senatsfrühstück für verfolgte ehemalige Bürgerinnen und Bürger Hamburgs

 

Sehr geehrte ehemalige Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrte Angehörige,
sehr  geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg heiße ich Sie herzlich willkommen in unserer Stadt.

Wir freuen uns darüber, dass Sie unsere Einladung angenommen haben als Gäste aus vielen Teilen der Welt, wo Sie, Herr Bossanyi, Herr Professor Liebeschuetz und Herr Petrover mit Ihren Angehörigen eine neue Heimat gefunden haben.

Eine neue Heimat finden mussten: nach Ausgrenzung und Ausgestoßensein, nach Verfolgung und Flucht durch die Barbarei des nationalsozialistischen Regimes.

Die Angehörigen der sogenannten zweiten Generation unter Ihnen sind auf der Suche nach den Wurzeln der Geschichte, ihrer Familiengeschichte, nach den Überbleibseln dessen, was das Zusammenleben hier in Hamburg einmal ausmachte.

Ich weiß, das ist mit mehr als gemischten Gefühlen verbunden. Es braucht den Mut, sich dem Vergangenen zu stellen, und zugleich die Bereitschaft, offen für das Unbekannte zu sein.

Sich dorthin aufzumachen, wo einst die Täter herrschten, mit offenen Augen und offenem Herzen für das, was war, und das, was ist dieser buchstäblich grenzüberschreitende Gedanke trägt dem Vergangenen Rechnung und schafft so erst die Basis für Kommendes. Damit geben Sie uns, den heute hier lebenden Deutschen, die Chance, ihr demokratisches Gesicht zu zeigen.

Ihr Anliegen verdient unseren höchsten Respekt. Ich erkenne darin auch das Vertrauen, bei uns willkommen zu sein. Dieses Vertrauen wollen wir nicht enttäuschen.

Von dem Dichter Jean Paul stammt der berühmt gewordene Satz, die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Das ist richtig, aber Erinnerung kann auch eine Hölle sein.

Zu belastend sind die oft traumatischen Erlebnisse der Dreißiger- und Vierzigerjahre. In vielen Familien setzt sich das kaum aushaltbare Leid, setzen sich die inneren Verletzungen von einer Generation zur nächsten fort.

Was den Opfern innere Befreiung bringen mag, kann nur jede und jeder Einzelne selbst für sich beantworten. Das Erinnern ist aber ohne jeden Zweifel ein zentraler Schritt auf diesem Weg.

Auch in Deutschland, dem Land der damaligen Täter, wird immer wieder um die Antwort auf die Frage gerungen, wie richtiges Erinnern aussehen kann und aussehen sollte. Wie der Würde der Opfer angemessen gedacht, wie jungen Leuten die Mahnung nahegebracht werden kann, dass sich die Verbrechen der Nazis niemals wiederholen dürfen.

Historisch fundiert, zeitgemäß in der Ansprache und ohne in leeren Ritualen zu erstarren das ist eine Herausforderung für Wissenschaftler und Stadtplaner, für Pädagogen und Politiker.

So wichtig das Erinnern für die nachfolgenden Generationen ist, so schwer ist es für die Opfer, die Erinnerung an Geschehenes immer wieder neu zu beleben um der eigenen Seele willen und zur Mahnung, damit sich solche Unmenschlichkeit nie wiederholt.

Die Zeitzeugen werden immer weniger, die aus erster Hand von ihren Erlebnissen im sogenannten Dritten Reich berichten können. Doch es gibt noch immer erfreulich viele, die dazu bereit sind, mit bewundernswerter Ausdauer von früher zu berichten, zum Beispiel als Gäste in Schulen und bei Geschichtsvereinen.

Auf der anderen Seite standen uns wohl nie so viele historische Informationen zur Verfügung wie heute. Die Möglichkeiten, Inhalte zu vermitteln, haben sich mit der modernen Mediengesellschaft immens erweitert und neue Aufgaben geschaffen, insbesondere das Werben um die Aufmerksamkeit eines von tausend Dingen gleichzeitig abgelenkten Publikums.

Anders als noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren hört man heute in Deutschland kaum noch die Forderung, einen ohnehin ja nicht möglichen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Das ist gut so, denn solch einen Schlussstrich kann und darf es nicht geben.

Und die Erfahrung zeigt: Die Neugier und die menschliche Anteilnahme gerade vieler junger Leute, sich mit der deutschen Vergangenheit zu befassen und beispielsweise die Geschichte ihrer Schule oder ihres Stadtteils zu erkunden, ist lebendiger denn je.

Die Ergebnisse werden dann etwa in Ausstellungen präsentiert, als Theaterstück inszeniert oder auf eigens erstellten Internetseiten. All das steckt andere Jugendliche an und wirbt für Toleranz, Bürgersinn und Zivilcourage.

Ja, das Erinnern kann eine Last sein. Doch es kann erleichtert werden durch die viel zu wenigen, aber eben auch existierenden anderen Erfahrungen.

Denn es gab nicht nur die Verbrecher. Es gab auch wahrhaft heldenhafte Widerständler und tapfere Hamburgerinnen und Hamburger, die sich dem unmenschlichen Zeitgeist verweigerten.

Vor wenigen Wochen haben sich alle Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft in einem gemeinsamen Antrag dafür ausgesprochen, bislang vernachlässigte Aspekte der Stadtgeschichte künftig vermehrt zu würdigen. Dazu gehört ein Denkmal für Deserteure der Wehrmacht, die selbst zu Opfern der nationalsozialistischen Machthaber wurden.

So wie Kurt Beusse, an den gar nicht weit von meinem eigenen Wohnort ein sogenannter Stolperstein vor seinem früheren Haus erinnert. Kurt Beusse wurde im Alter von 22 Jahren von den Nazis hingerichtet, weil er sich als Soldat an der Ostfront weigerte, an der Erschießung zum Tode verurteilter Kameraden teilzunehmen und zu desertieren versuchte.

Auch an ihn erinnert in Hamburg inzwischen einer der mehr als 4000 Stolpersteine, diese kleinen, in den Boden eingelassenen Messingtafeln, denen man überall in der Stadt vor den ehemaligen Wohnungen von NS-Opfern begegnet.

Am Lohseplatz in der HafenCity ist auf dem Gelände des zerstörten Hannoverschen Bahnhofs ein Erinnerungsort für verfolgte, zwischen 1940 und 1945 von hier deportierte Juden, Sinti und Roma entstanden.

Und acht Jugendprojekte haben Ideen für diesen Gedenkort entwickelt. Aus einer Gruppe ging ein Lied zur Deportation hervor, welches das Ungeheuerliche der Verschleppung Verfolgter in eine Form der heutigen Jugendkultur gießt. Man spürt die innere Erschütterung der jungen Leute von heute und ihre Empörung über das Unrecht von damals.

Das hat selbstverständlich zu Diskussionen geführt und genau das erzeugt, was für mich von großer Bedeutung ist: eine lebendige Auseinandersetzung um die Art des Gedenkens im 21. Jahrhundert, die das Grauen weder verharmlost noch relativiert und zugleich heutige Generationen erreicht. Dieser Austausch sorgt dafür, dass zeitgemäß und kreativ weiterentwickelte Gedenkstätten dauerhaft ihren Stellenwert behalten und auch weiter auf großes Interesse stoßen werden.

Der Wegweiser zu den Stätten der Erinnerung von der Landeszentrale für politische Bildung, den ich Ihnen bei dieser Gelegenheit ans Herz legen möchte, hilft dabei, über die individuelle Geschichte hinaus den großen Zusammenhängen nachzuspüren und sich vor Ort ein Bild zu machen.

Meine Damen und Herren,

seit 1970 hat die Freie und Hansestadt Hamburg zunächst Einzel-, dann Gruppeneinladungen an verfolgte ehemalige Bürgerinnen und Bürger der Stadt ausgesprochen. Mehrere Tausend Personen sind dieser Einladung seither gefolgt, was uns sehr freut.

Sie werden in dieser Woche viele Facetten unserer Millionenstadt entdecken können.

  • Die vielen Spuren der jüdischen Hamburgerinnen und Hamburger, die Synagoge in der Hohen Weide, vielleicht möchten Sie auch das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme besuchen.
  • Den alten jüdischen Friedhof in Altona, für den der Senat soeben die Aufnahme in die Unesco-Liste als Weltkulturerbe beantragt hat.


Sie sehen auch Alster und Elbe mit dem Hafen, der nicht nur einer der größten Warenumschlagsplätze überhaupt ist, sondern uns Hamburgern als das eigentliche Herz der Stadt gilt. Von hier richtet sich Hamburgs Perspektive auf den Horizont. Im Hafen entspringt unsere sprichwörtliche Weltoffenheit.

Brände, Bombenkrieg und Flutkatastrophen hat Hamburg überstanden und zeigt sich heute als wachsende, tolerante und verantwortungs-bewusste Stadt, den Lehren der Vergangenheit verpflichtet und nach vorn blickend. Eine Stadt, die den Dialog, auch wenn er manchmal schmerzhaft ist, braucht und ihn schätzt.

Besuchsprogramme wie Ihres tragen einen wichtigen Teil dazu bei, der Geschichte mit heutigen Augen zu begegnen und aus ihr zu lernen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie demnächst sagen: Es war richtig, nach Hamburg zu kommen. Ich wünsche Ihnen vielfältige Eindrücke, bereichernde Begegnungen und bleibende Erinnerungen an unsere Stadt. Und uns wünsche ich, dass Sie zu Hause erzählen: Nach Hamburg komme ich wieder.

Vielen Dank.  


Es gilt das gesprochene Wort.