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21.11.2012

Senatsfrühstück zum Ausscheiden von Frau Annemarie Dose als Vorsitzende der Hamburger Tafel

Senatsfrühstück zum Ausscheiden von Frau Annemarie Dose als Vorsitzende der Hamburger Tafel

 

Sehr geehrte Frau Dose,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ein Mitarbeiter unserer Sozialbehörde weiß eine schöne, weil typische Geschichte von einer Begegnung mit Ihnen, Frau Dose, zu erzählen, und ich hoffe, Sie verzeihen mir die kleine Indiskretion.

 

Während eines Gesprächs im Büro der Hamburger Tafel kam ein Unternehmensvertreter herein und fragte, ob die Tafel zwei Paletten Lebensmittel abnehmen würde. Da haben Sie sich auf den Tisch gesetzt, mit den Beinen geschaukelt und gesagt: Wenn Sie mir noch zwei Paletten Zucker und zwei Paletten Mehl dazu stellen, dann mache ich das.

 

Danach haben Sie so lange nichts gesagt, bis die Sache klar ging, und kaum war der Mann draußen, meinten Sie: So muss das gehen. Für Geld kann ja jeder.

 

Solche und ähnliche Geschichten können alle erzählen, die Sie kennen. Klare Absichten, ein großes Maß an Unerschrockenheit und jede Menge Hartnäckigkeit bescheinigt man Ihnen zu Recht. Die Geschichte der Hamburger Tafel wäre ohne diese Eigenschaften und ohne Sie ganz anders verlaufen.

 

1994 wurde die erste Tafel in Berlin gegründet, noch ohne allzu viel Aufsehen zu erregen. Als Sie, Frau Dose, im Jahr darauf das Hamburger Pendant ins Leben riefen, betraten Sie noch immer Neuland und das ohne jede professionelle Erfahrung als Kauffrau, Logistikerin oder gar Fundraiserin, wie man das neudeutsch heute nennt.

 

Anfangs ging es nur um die Verteilung von Lebensmitteln, die sonst vernichtet worden wären. Heute spielt auch der Umgang mit der eigenen Freizeit eine wichtige Rolle, das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun. Wer konnte in den Anfangstagen, vor fast 20 Jahren, ahnen, dass ein derart großes Projekt daraus werden würde?

 

Die Erfahrung ist schnell gewachsen, und Ihre zupackende, lebensbejahende Art, der das Klagen über die Schlechtigkeit der Welt fern ist, öffnete buchstäblich viele Türen. Alles unter dem Motto Geht nicht, gibt’s nicht. Die Hamburger Tafel und ihre Gründerin Annemarie Dose wurden zu dem Vorbild für die Tafeln in Deutschland.

 

Inzwischen existieren in der Bundesrepublik fast 900 Tafeln, allesamt ehrenamtlich von engagierten Bürgerinnen und Bürgern getragen.

 

Die Tafeln ganz vorn mit dabei die Hamburger Tafel sind die wohl größte wohltätige Verwertungsinitiative im Land, für Olivenöl genauso wie für nicht mehr benötigte Handys. Wenn der Winter kommt, organisieren Sie und die Aktiven der Tafel Tausende Isomatten und Schlafsäcke und verteilen sie über mehr als 100 Anlaufstellen allein in Hamburg an rund 20.000 Hilfsbedürftige. Und nebenbei haben Sie zwei Bücher mit schmackhaften, für jeden erschwinglichen Kochrezepten herausgebracht.

 

 

Liebe Frau Dose,

 

mit Ihrer Haltung verkörpern Sie Hamburg von seiner schönsten Seite: lebensfroh, gerechtigkeitsliebend und engagiert, hilfsbereit und persönlich stets hanseatisch-bescheiden.

 

Wenn auch nicht in der Sache: Sie sagen, was Sie denken, und ob Sie dabei anecken, ist Ihnen herzlich egal. Das Streitbare liegt Ihnen im Blut, aber genauso das Fürsorgliche: Dass es bei der Hamburger Tafel so wenig personelle Fluktuation gibt, liegt gewiss nicht zuletzt an der spürbaren Wertschätzung für die rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

 

Dass es inzwischen auch die Annemarie-Dose-Stiftung für die Fälle gibt, in denen der Tafel mal das Geld ausgeht, fügt sich bestens ins Bild: Hamburg hat als Stiftungshauptstadt mit aktuell 1.200 gemeinnützigen Stiftungen eine lange, erfreuliche Tradition der organisierten Unterstützung von Bürgern für Bürger bis zurück zu den ersten Armen- und Waisenhäusern im frühen 17. Jahrhundert.

 

Die heutigen Stiftungen und ebenso die Hamburger Tafel arbeiten hervorragend mit der Sozialbehörde zusammen und ergänzen die städtische Unterstützung für Hilfsbedürftige auf eine Weise, wie sie nur mit Eigeninitiative machbar und sinnvoll ist.

 

Der Anstoß dazu kommt auch in Ihrem Fall aus eigener Lebenserfahrung: Einem Reporter haben Sie einmal von ihren Großeltern erzählt. Wer die Familie als Obdachloser um Essen bat, musste vorher Holz hacken, mit der Begründung: Er behält seine Würde, denn er hat sich das, was er jetzt kriegt, verdient.

 

Diese Grundhaltung hat auch die Hamburger Tafel geprägt. Es geht nämlich nicht um schlichte Mildtätigkeit, sondern um einen respektvollen Umgang auch mit den Ärmsten keine Almosen, kein Schlangestehen als Bittsteller.

 

Diese respektvolle Haltung nimmt auch der Hamburger Senat ein. Die Botschaft unserer Einladung an alle lautet: Wer sich anstrengt, soll in unserer Stadt eine faire Chance bekommen, seinen Platz zu finden, unabhängig vom Alter, der Herkunft, dem Geschlecht oder der Religion.

 

Und wenn noch mehr Bürgerinnen und Bürger hier wie anderswo die Tafel künftig nicht mehr benötigten, dann würde mich das ganz besonders freuen.

 

Dass Sie, liebe Frau Dose, nun im beneidenswert munter wirkenden Alter von 84 Jahren etwas kürzer treten möchten, sei Ihnen von Herzen gegönnt.

 

Um die Fortführung Ihrer Arbeit brauchen Sie sich jedenfalls nicht zu sorgen. Die Seele der Tafeln hat man Sie genannt, und bekanntlich braucht das Wirken einer Seele nicht unbedingt die körperliche Anwesenheit.

 

Was Sie angestoßen haben, wird weitergehen, und dafür danke ich Ihnen sehr herzlich im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg sowie aller Bürgerinnen und Bürger. Ihrem Nachfolger, Herrn Achim Müller, wünsche ich viel Erfolg und Ihnen, liebe

Frau Dose, alles Gute!

 

Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.