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02.06.2010

Sparen ist nicht überall und immer richtig

Interview mit der FAZ

 

 Herr Scholz, stellen Sie sich vor, Sie wären noch Bundesarbeitsminister und hätten ein Schreiben des Finanzministers mit der Bitte erhalten, Sparvorschläge für Ihr Ressort zu unterbreiten.

 

Der Spielraum für Kürzungen ist nicht groß. Und Sparen ist nicht überall und immer der richtige Weg. Wir haben zum Beispiel in Deutschland viel Geld für die Kurzarbeit ausgegeben - mit dem positiven Effekt, dass die Arbeitslosigkeit nur in geringem Maße gestiegen ist. Das Beste, was jetzt auch in finanzpolitischer Hinsicht getan werden sollte, ist, die Arbeitsverwaltung personell so auszustatten, dass möglichst viele Arbeitssuchende Stellen vermittelt bekommen.

 

Sie wissen, dass Wolfgang Schäuble diese Antwort nicht akzeptiert hätte. Wo würden Sie sparen? Bei den Renten?

 

Nein, das geht nicht. Es war richtig, dass ich in der großen Koalition die Rentengarantie durchgesetzt habe. Außerdem gibt es klare Vereinbarungen zwischen Regierung und Opposition: die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die nach dem Regierungswechsel gesperrt worden waren, freizugeben und 3200 Stellen in der Arbeitsvermittlung zu entfristen. Zudem haben wir uns auf einen Personalschlüssel in den Jobcentern verständigt. Wenn man sich an die Vereinbarungen zwischen Regierung, Ländern und SPD zu den Jobcentern hält, gibt es für das Arbeitsministerium nicht so viele Möglichkeiten.

 

Am Mittwoch richten Sie im Willy-Brandt-Haus eine Online-Konferenz zur Arbeitsmarktpolitik aus. Die Befragung der SPD-Basis hat ergeben, dass neben der Rente mit 67 vor allem die Hartz-IV-Reformen zum Wahldesaster des 27. September 2009 beigetragen haben. Welche Korrekturen werden Sie machen?

 

Wir haben jetzt eine breite Diskussion begonnen. Die soll auf dem Parteitag im September abgeschlossen werden. Die Diskussion soll offen geführt werden. Dieses Motiv steht auch hinter der Arbeitsmarktreform. Wir wollen, dass die Bürger arbeiten. Wir hätten aber durch Mindestlöhne und klare Regeln bei der Leiharbeit zeigen sollen, dass wir gute Arbeit meinen. Mittlerweile hat die Zahl der nur noch befristet Beschäftigten jedes vernünftige Maß überschritten. Das muss sich ändern.

 

In diesem Jahr soll die Rente mit 67 durch die Bundesregierung daraufhin überprüft werden, ob der Arbeitsmarkt dafür reif ist. Hat sich die Frage angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht von selbst beantwortet? Es gibt doch derzeit keine Stellenangebote für ältere Arbeitnehmer.

 

Diese Frage wird sicherlich erörtert. Auch da ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Eine Frage wird sein: Wie hoch ist der Anteil derer, die zwischen 60 und 65 Jahren überhaupt erwerbstätig sind. Daraus werden wir Rückschlüsse ziehen.

 

Nur 44 Prozent der Ortsvereine haben sich an der Befragung beteiligt. Ein Großteil der Basis ist politisch nicht mehr aktiv. Wie wollen Sie die Partei wieder aktivieren?

 

Ihre Schlussfolgerung geht zu weit. Aktivität bemisst sich nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Neue Beteiligungsformen, Mitgliederbefragungen, Mitgliederentscheide, sind ein Weg. Wir werden aber niemals nur einen Weg gehen. Wir müssen respektvoll mit den Wünschen der Basis umgehen. Und auch nicht mogeln. Das kommt früher oder später ohnehin raus. Wir dürfen nicht mit abschließenden Meinungen in die Diskussion gehen. Beteiligung ist keine PR-Nummer.

 

Sigmar Gabriel hat eine closed-shop-Mentalität in der Partei beklagt. Kaum ein Ortsverein kooperiert mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, wie etwa Umweltverbänden. Hat sich die SPD in elf Jahren an der Regierung abgeschottet?

 

Nein. Aber eine gewisse Tendenz zur Abschottung gab es schon. Dabei darf es nicht bleiben. Wir dürfen uns nicht absondern. Sigmar Gabriels Mahnung habe ich vor allem als Appell verstanden.

 

Wir gehen jetzt auf die parlamentarische Sommerpause zu. Nach einem Sitzungsjahr in der Opposition beklagt die Parteilinke, dass die SPD im Erneuerungsprozess zu wenig radikal denkt.

 

Ich kenne viele Parteilinke, die das anders sehen. Zur Sache: Wenn man sich das Ergebnis der Bundestagswahl vor Augen führt, hätten doch viele diese positive Entwicklung der SPD nicht für möglich gehalten. Wir haben zusammengehalten und sind bereit, uns selbstkritische Fragen zu stellen. Die Regierung würde besser dastehen, hätte sie nicht eine so engagierte Opposition.

 

Oder umgekehrt: Die SPD stünde schlechter da, hätte sie es mit einer funktionierenden Regierung zu tun.

 

Nein, es ist keine geliehene Stärke, obwohl die Regierung so schlecht dasteht. Verlorenes Vertrauen kommt aber nicht über Nacht wieder. Wir brauchen Geduld. Es geht jetzt nicht um die Kurzstrecke mit heftigen Forderungen. Vertrauen kann nur auf der Langstrecke gewonnen werden.

 

Rechnen Sie in der Bundesversammlung damit, dass die Bundesregierung in der Frage der Nachfolge für Horst Köhler einen integrativen Kandidaten aufstellt?

 

So kurz nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten, lässt sich das noch nicht beantworten. Es geht um ein besonderes Amt. Das sollte nicht nach rein parteipolitischen Kriterien besetzt werden, unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung.

 

Das Interview führte Majid Sattar.

 

Sie finden das Interview auch auf der Homepage der FAZ.