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04.05.2013

Stadt der Zukunft: Podiumsdiskussion aus globaler Perspektive

Stadt der Zukunft: Podiumsdiskussion aus globaler Perspektive

 

Sehr geehrte Frau França,

sehr geehrte Gäste des Deutschen Evangelischen Kirchentages,

 

Sehr geehrte Frau França, [sprich: Franza; ehemalige Städtebau-Dezernentin São Paulo] 

sehr geehrte Gäste des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 

 

vor wenigen Tagen erst bin ich von einer einwöchigen Reise nach Lateinamerika zurückgekehrt, die mich auch nach São Paulo führte. 

 

Die Herausforderungen für die Stadtplanung dort hat Frau França bereits anschaulich geschildert, und es deckt sich mit dem, was ich von unseren Gesprächspartnern dort erfahren und selbst gesehen habe. 

 

Die Metropolregion São Paulo mit ihren mehr als 18 Millionen Einwohnern sieht sich im Vergleich mit einer Stadt wie Hamburg ungleich größeren Aufgaben gegenüber, was ihre Verkehrs- und Infrastruktur angeht, ihre öffentlichen Einrichtungen, die soziale Versorgung, die innere Sicherheit, die ökologische Balance und vieles mehr. 

 

Doch bei allen Unterschieden haben São Paulo und Hamburg wie alle Millionenstädte im 21. Jahrhundert eines gemeinsam: Der Trend geht klar hin zur großen Stadt fast überall auf der Welt und oft in atemberaubender Geschwindigkeit. 

 

Der Grund ist klar: Von den modernen Metropolen geht für Millionen Migranten aus dem In- wie aus dem Ausland das Versprechen auf ein besseres Leben aus. Dieses Versprechen müssen und wollen wir einlösen. Denn in den Städten wird die Gesellschaft der Zukunft vorgedacht so wie es die mehr als 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kirchentags in diesen Tagen bei uns in Hamburg tun. 

 

Die Diskussionsprozesse zu einer großen Zahl politischer und gesellschaftlicher Themen fokussieren sich in diesen fünf Tagen auf die übergeordnete Frage, wie wir künftig leben wollen. Daran zeigt sich einmal mehr: In unseren Städten entstehen neue Entwicklungen, Aufgaben und Chancen zuerst. 

 

In den Städten werden die Ideen geboren, die uns in Zukunft bewegen werden erst recht in Hafenstädten, wo schon traditionell ein reger Austausch nicht nur von Gütern, sondern auch von Migranten, von Ideen und Know-how herrscht. 

 

Sie sehen: Ich betrachte den globalen Trend hin zur Stadt nicht als Bedrohung oder gar Gefahr, sondern bei allen schwierigen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt als eine sehr positive Entwicklung, die wir begrüßen und aktiv gestalten sollten. Lassen sie mich kurz ausführen, was das für Hamburg bedeutet. 

 

Hamburg als eine der bedeutendsten Handelsstädte der Welt hat aktuell 1,8 Millionen Einwohner. Wir rechnen mit 1,9, womöglich zwei Millionen Einwohnern in wenigen Jahren. Fünf Millionen leben in der Metropolregion. 

 

Wenn gelingt, was wir uns vorgenommen haben, dann werden aber nicht nur einfach mehr Bürgerinnen und Bürger in Hamburg leben. Sie werden auch besser leben. Die Stadt soll und wird wachsen wachsen soll aber auch ihre Lebensqualität. 

 

Schon unsere Vorfahren haben das Bevölkerungs¬wachstum als eine Chance begriffen. Als vor etwas mehr als 200 Jahren Hamburgs Bevölkerung erstmals gezählt wurde, lebten hier gut 130.000 Bürgerinnen und Bürger. Heute sind wir fast 14 mal so viele. Und nicht nur das: Wir leben heute allemal besser als vor zwei Jahrhunderten. Mit der Einwohnerzahl sind Wohlstand und Lebensqualität gewachsen das lehrt uns die historische Erfahrung. 

 

Als Hamburg vor gut einem Jahrhundert erstmals die Millionengrenze überschritt, haben das alle als entscheidenden Schritt hin zur Weltstadt begrüßt. 

 

Jetzt rückt es in greifbare Nähe, die zweite Stufe zu erklimmen. Zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger allein sind zwar nicht das einzige Kriterium für eine Metropole globaler Bedeutung aber diese Marke hilft, unsere Stadt in den wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt des europäischen Nordens zu rücken. 

 

Es gibt allen Grund, optimistisch den 20er, 30er und vielleicht sogar 40er Jahren unseres Jahrhunderts entgegenzusehen und auf die Möglichkeiten, die sich für die kommenden Jahre eröffnen. 

 

Hamburgs Bevölkerungswachstum kommt allerdings nicht in erster Linie durch die Geburtenrate, sondern durch Zuzug zustande. Immer mehr Studierende zieht es zu uns, ebenso Familien, Fachleute aus Zukunftsbranchen wie der Windenergie, der Informations- und der Biotechnologie, Deutsche und Ausländer. 

 

Gleichzeitig kann sich Hamburg selbst aber nicht ausdehnen, da unsere Stadtgrenzen unverrückbar sind. Das Hamburg von morgen müssen wir also schon heute organisieren, und das wirft eine Menge Fragen auf. 

 

All diese Fragen sind in Städten wie Hamburg beantwortbar, überall ein wenig anders, auf eine Weise aber auch überall gleich: Das 21. Jahrhundert verlangt nach smart cities, in denen grenzüberschreitend und interdisziplinär gedacht, geplant und gebaut wird. Nicht mit dem Selbstverständnis einer Art Feuerwehr, die die schlimmsten Auswirkungen einer verfehlten Stadtentwicklung irgendwie zu begrenzen versucht, sondern als Labor für Vordenker, in dem ein integrierter Lebensraum der Gesellschaft von morgen entworfen wird, der Funktionen wie Wirtschaft, Verkehr, Bildung und Freizeit aufeinander bezieht und miteinander verknüpft. 

 

Der Harvard-Ökonom Edward Glaeser hat das in seinem Buch The Triumph of the City eindrucksvoll beschrieben und klare Anforderungen an eine zukunftsfähige Stadt formuliert. In erster Linie eine gute funktionierende Infrastruktur: gute Schulen und Hochschulen, erstklassige Betreuungsmöglichkeiten, ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr, ausreichend Baufläche und die Möglichkeit zu mutiger Stadtentwicklung. Hinzufügen möchte ich noch eine sichere und umweltverträgliche Energieversorgung, die uns vor besondere Aufgaben stellt. 

 

Die Perspektive Hamburgs ist dabei Teil einer globalen Entwicklung, denn die Mehrheit der Menschheit wird zukünftig in Städten leben. Und die urbanen Räume werden sich noch mehr als bisher zu Zentren des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens entwickeln. Wir haben uns zum Ziel gesetzt zu zeigen, welche Potenziale diese Entwicklung bietet und wie wir sie am besten nutzen können. 

 

Das heißt insbesondere, dass wir das Wohnen in der Stadt ermöglichen müssen sicher und sozial verträglich, bezahlbar und in angemessener Qualität. Diese Aufgabe nehmen wir in Hamburg sehr ernst: Das umfangreiche Wohnungsbau¬programm des Hamburger Senats ist das wohl größte seiner Art in Deutschland. Dazu gehören übrigens nicht nur das Planen und Genehmigen, gegebenenfalls auch das Mitfinanzieren von Wohnungen im privaten Sektor, sondern auch der Erhalt und die Erweiterung eines soliden Bestands von guten, preiswerten Wohnungen im öffentlichen Eigentum. 

 

Daneben unternehmen wir erhebliche Anstrengungen für verbesserte Bildungsangebote beginnend bei flächendeckender Kinderbetreuung bis hin zu Hilfen für jeden Schulabgänger ohne Berufsperspektive, damit jeder eine Berufsperspektive erhält. 

 

Stichwort Energie: Hamburg als Windhauptstadt Europas drängt auf den schnellen und umfassenden Ausbau von Stromtrassen und Speichertechnologie, damit wir das deutsche Ziel der vollständigen Umstellung auf eine Versorgung unseres Landes mit Energie aus erneuerbaren Quellen wie geplant bis 2022 erreichen können. 

 

Dazu dient auch eine verbesserte Energieeffizienz, zum Beispiel durch Kraft-Wärme-Kopplungs-Systeme, die Förderung von Wärmedämmung und ressourcenschonendes Bauen, beispielsweise in Form moderner Passivhäuser, die teilweise oder ganz von externer Energieversorgung unabhängig sind. Solche Entwicklungen werden durch eine enge Vernetzung im Wissens- und Technologie¬bereich ermöglicht, die wir intensiv begleiten. 

 

Das Hamburger Busnetz bauen wir mit immer mehr emissionsfreie Fahrzeugen zum modernsten unseres Kontinents aus und verknüpfen die vielfältigen Mobilitätsangebote unserer Stadt auf ganz neue, betont kunden-freundliche Weise miteinander. Öffentliche Transportmittel, das eigene Rad oder Leihfahrräder, Carsharing und 

E-Mobilität lassen sich so nahtlos und damit hocheffektiv also smart miteinander verknüpfen. 

 

Bei der wichtigen Aufwertung einst vernachlässigter Stadtteile achten wir besonders darauf, dass es nicht zur gefürchteten Verdrängung der augenblicklichen Bewohner kommt und eine möglichst vielfältige soziale Mischung erhalten bleibt. Sie ist für den Austausch miteinander und die Stabilität von Sozialstrukturen unserer Stadt unabdingbar. 

 

Dazu gehören für uns auch neue, oft zeitintensive Wege der Bürgerbeteiligung. In Hamburgs industriell geprägtem Süden etwa hat vor wenigen Tagen die vielbeachtete Internationale Bauausstellung (IBA) begonnen, die mehr als 60 Projekte zum Leben, Wohnen und Lernen der kommenden Jahre präsentiert auf anschauliche, praktische Weise. Sie alle sind herzlich eingeladen, diese Ausstellung mit ihren zukunftsweisenden Vorhaben in diesem Jahr zu besuchen und vielleicht auch gleich dort nebenan die soeben eröffnete Internationale Gartenschau. 

 

Manche der IBA-Projekte haben das Potenzial, das Gesicht unserer Stadt zu verändern. Sie wurden in etlichen Veranstaltungen den Bürgerinnen und Bürgern vorgestellt, gemeinsam diskutiert und wo es nötig war auch modifiziert ein manchmal mühevoller, aber lohnender Prozess, der nicht zuletzt auch zur verstärkten Identifizierung der Bewohner mit ihrem Quartier beiträgt. Davon profitiert die ganze Stadt. 

 

Politik und Verwaltung stehen in der Verantwortung, ernsthafte Mitwirkung zu ermöglichen und zu respektieren. Das ist unser Anspruch. Dennoch ist es in der Demokratie die Politik, die am Ende entscheidet. Nur sie ist dafür legitimiert, und zwar von allen Bürgerinnen und Bürgern. 

 

Meine Damen und Herren,

auch in den kommenden Jahrzehnten wird Hamburg eine grüne Stadt am Wasser sein. Noch grüner als heute und mit noch mehr Wohnungen und Attraktionen am Wasser als heute. 

 

Und zwar, indem wir das Wachstum der Stadt mit größerer ökologischer Lebensqualität verbinden. Wirtschaftliche und ökologischer Fortschritt sind nämlich kein Gegensatz sie bedingen einander, und der Einsatz kluger Technologie hilft dabei. 

 

Hamburg beheimatet Industriebetriebe aus der Kupfer-, Stahl-, Aluminium- und der Chemie-Branche in zentraler städtischer Lage mit modernsten Technologien funktioniert das. Denn statt die Anlagen stillzulegen, haben wir ihre Emissionen drastisch reduziert. 

 

Die Grundlage für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft war und ist nicht Verzicht, sondern technischer Umweltschutz nach dem jeweiligen state of the art: Umweltschutz, der Wachstum und Wertschöpfung ermöglicht und gleichzeitig mithilft, die Lebensgrundlagen zu erhalten. 

 

Inzwischen wissen wir, dass wir industrielle Kapazitäten steigern und gleichzeitig die Qualität unserer Luft verbessern können zum Beispiel mit neuen Filteranlagen und klügerer Prozesssteuerung. 

 

Und genau das meint der inzwischen schon in Mode gekommene Begriff von den Smart Cities: Ressourcen schonen und gleichzeitig die Lebensqualität in der Stadt erhöhen. 

 

Meine Damen und Herren, 

große Städte sind nicht statisch, schreibt Edward Glaeser. Sie sind nie fertig. Und die Zukunft bricht nicht über uns herein wie gutes oder schlechtes Wetter. Die Zukunft wird von uns gestaltet idealerweise im Austausch der Städte untereinander, denn was sich am einen Ort noch als Problem zeigt, ist an anderer Stelle vielleicht längst gelöst oder auf gutem Weg. Und es ist ein gutes Zeichen, dass innerhalb der großen Metropolen das Thema Stadtentwicklung lebhafter denn je diskutiert wird, weil das ein Zeichen der Identifikation mit dem Lebensraum Stadt ist und zugleich unserer demokratischen Kultur guttut. 

 

Ich bin gespannt auf unsere heutige Diskussion. 

 

Es gilt das gesprochene Wort.