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09.04.2013

Trauerfeier Georg W. Claussen


Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's 80 Jahre, heißt es im Psalm 90 der Bibel. Wenn jemand die 100 überschreitet, ist es etwas Besonderes. Erst recht nach einem solchen Leben. 

 

Sehr geehrte Familie Claussen, 

sehr geehrte Damen und Herren, 

 

im Gratulationsband zu seinem 100. Geburtstag findet sich ganz hinten ein Foto. Darauf hört Georg Wilhelm oder auch Georg W. Claussen, wie man ihn nennt im Jahr 2011 bedächtig seinem jüngsten Enkel Fritz zu. Am Blick und der Körperhaltung ist die gespannte Aufmerksamkeit des Großvaters zu erkennen. 

 

So wach und konzentriert habe auch ich selbst Georg W. Claussen vergangenes Jahr bei der großen Geburtstagsfeier erlebt und mich angeregt mit ihm unterhalten eine Begegnung, die mir sehr in Erinnerung geblieben ist und die mich beeindruckt hat. 

 

Georg W. Claussen hat bis in sein hohes Alter hinein mit wachem Verstand Anteil an dem genommen, was um ihn herum vorging. 

 

Und er blieb bis zum Schluss ein gefragter Ratgeber. Gefragt deshalb, weil Wort und Tat bei ihm einhergingen. 

 

Wenn ich mir etwas vornahm, habe ich es im Allgemeinen auch durchgeführt, hat Georg W. Claussen einmal einem Interviewer gesagt. Es lag ihm fern, sich auf Erreichtem auszuruhen, und so hat er seinen Einfluss stets geltend gemacht, obwohl oder gerade weil er es vor allem in seiner ersten Lebenshälfte nicht leicht hatte. 

 

Gleich 1933, mit dem Beginn der Nazi-Herrschaft, verfügten die Machthaber, dass etliche als nichtarisch geltende Mitglieder des Beiersdorf-Vorstands und  Aufsichtsrats das Unternehmen verlassen müssen. Georg W. Claussens Vater Carl, bis dahin Aufsichtsratsmitglied, übernimmt daraufhin den Vorstandsvorsitz und steuert Beiersdorf gegen alle antisemitischen Angriffe durch die Hitlerjahre. Erst nach langen Gesprächen mit ihm darf Georg W. 1938 seinerseits in die Firma eintreten, wird aber bald darauf zur Wehrmacht eingezogen. 

 

Der Nationalsozialismus, hat Georg W. Claussen einmal gesagt, habe ihn krank gemacht, aber er habe ihn auch aufgeweckt. Die Scham, auf dem Kasernenhof als Einziger vortreten zu müssen, als man nach sogenannten Nichtariern brüllte, diese Scham hat er nie vergessen. 

 

Wegen seiner jüdischen Mutter wird er als wehrunwürdig wie es damals hieß entlassen. Ab 1944 muss auch Carl Claussen Beiersdorf verlassen, Georg W. selbst verlebt die letzten Kriegsmonate als Zwangsarbeiter im Straßenbau. 

 

Bereits am Tag der deutschen Kapitulation, am 8. Mai 1945, übernimmt Carl Claussen wieder den Firmenvorsitz, drei Jahre darauf erhält Georg W. Prokura und kümmert sich vor allem um das Auslandsgeschäft in Europa und Übersee. 1954 stirbt Carl Claussen, von 1957 an leitet Georg W. ein Vierteljahrhundert lang das Unternehmen. 

 

Beiersdorf ist eine Weltfirma aus Hamburg, und das verdanken wir der Familie Claussen, nicht zuletzt Georg W. Claussen. Er stand für eine Firmenphilosophie, die man heute nachhaltig nennen würde, die das Wohlergehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Interesse des Gemeinwesens gleichberechtigt neben die Interessen des Unternehmens stellt. 

 

Dieses Unternehmen hat Georg W. Claussen klug und mit Weitblick geführt. Die Tesa-Produktpalette wurde neben der bereits immens erfolgreichen Marke Nivea zu einer wesentlichen Säule für Beiersdorf. Mit dem Fall der Preisbindung 1974 organisierte sich der Drogerieartikel-Einzelhandel völlig neu weg von den Apotheken, Drogerien und Fachhändlern hin zu den neuen Supermärkten mit Selbstbedienung. Die Chancen, die sich daraus ergaben, hat Georg W. Claussen früher erkannt als viele andere. 

 

Ich hatte das Glück, dass ich mit den Mehrheitsaktionären keine Schwierigkeiten hatte und meine Entscheidungen immer akzeptiert wurden, hat Georg W. Claussen im Rückblick gesagt. Eine bescheidene Umschreibung dafür, dass sich in seiner Zeit als Unternehmenschef der Firmenumsatz etwa verdreißigfachte. Beiersdorf ist eines der bedeutendsten Unternehmen und einer der wichtigsten Arbeitgeber Hamburgs. 

 

Diese nahezu beispiellose Erfolgsgeschichte zeigt aber nur die eine Seite von Georg W. Claussen. 

 

Die andere Seite bezeichnet einen der bedeutendsten Mäzene seiner Heimatstadt Hamburg, der er im Herzen stets die Treue gehalten hat und der nach der Devise lebte: Wer wohlhabend ist, gibt. 

 

Neben seinen zahlreichen Ehrenämtern im Industrie- und Arbeitgeberverband sowie dem Präsidium der Handelskammer war er als Vorstand und späteres Kuratoriumsmitglied des Stifterverbands die Personifizierung des Hamburger Bürgersinns. Erst 2011 hat er gemeinsam mit anderen der Hamburger Kunsthalle eine Reihe von Gemälden des Malers Phillip Otto Runge gestiftet. 

 

Auch die Universitäts-Gesellschaft, den Denkmalrat der Hansestadt Hamburg, die Kuratorien der Stiftung für die Hamburgischen Kunstsammlungen und des Museums für Kunst und Gewerbe hat er mit Leidenschaft und kritischem Sachverstand bereichert und zum 100-jährigen Beiersdorf-Jubiläum die bedeutende Claussen-Simon-Stiftung gegründet, die sich mit großem Erfolg der wissenschaftlichen Begabtenförderung widmet und in unserem Land unverzichtbar geworden ist.

 

Die Geschichte, unsere Lebensgeschichte, auf die wir nur begrenzten Einfluss haben, prägt jeden von uns; doch es ist unsere Entscheidung, was wir aus unserer Geschichte lernen; ob wir aus erfahrenem Unglück Kleinlichkeit entwickeln oder Größe, Bitterkeit oder Großherzigkeit. Bei Georg W. Claussen war das keine Frage seine Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gegenüber seinem Gesprächspartner wurde nicht von dessen Rang oder Bedeutung beeinflusst innerhalb und außerhalb der Firma. 

 

In Georg W. Claussens Persönlichkeit drückten sich zwei Dinge aus: Haltung und Anstand als liberaler, sozial eingestellter Demokrat in der Tradition seines mutigen Vaters, der sich trotz des Drucks der Nazis nicht von seiner Frau trennte und seinem Sohn ein Vorbild war. 

 

Einen Jahrhundertmann hat man Georg W. Claussen genannt. Das stimmt im doppelten Sinn bei diesem Mann, dem die Gnade von mehr als 100 Lebensjahren zuteilwurde und der seinerseits für ein Jahrhundert Hamburger Geschichte steht und diese Stadt mit prägte. 

 

Georg W. Claussen gehört zu Hamburg wie der Michel, so hat es einmal jemand ausgedrückt. Das bleibt wahr auch über den Tod hinaus. 

 

Meine Damen und Herren, 

wir gedenken in Trauer und Dankbarkeit des großen Hamburgers Georg Wilhelm Claussen. 

 
 
Es gilt das gesprochene Wort.