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07.09.2011

Verleihung des Körber-Preises für die Europäische Wissenschaft

 

Sehr geehrter Herr Wriedt,
sehr geehrter Herr Prof. Hell,

sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrter Ehrenbürger Herr Prof. Greve,

sehr geehrte Mitglieder des konsularischen Korps,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

gibt es die Möglichkeit, die Gesetze der Physik zu überlisten? Nein, möchte man als Nicht-Naturwissenschaftler spontan sagen. Und hinzufügen: zum Glück nicht! Auf einem festen Boden zu stehen an einer Stelle, an der sich kein anderer Körper gleichzeitig befinden kann das gehört doch zu den Gewissheiten, ohne die wir alle ziel- und sinnlos durch Raum und Zeit schwebten.

Mit dem festen Boden meine ich nicht zuletzt den der Erkenntnis. Handeln setzt Wissen voraus, oder sollte es jedenfalls. Wissen soll soweit irgend möglich durch Empirie gestützt sein. Bertolt Brecht hat in seinem Stück Leben des Galilei die Erfindung des Fernrohrs zum Dreh- und Angelpunkt seiner Überlegungen und Lehrsätze gemacht. Es geht um das Verhältnis von Erkenntnis und Interesse.

Was der Blick durch das Fernrohr auf die Bewegung der Gestirne beweist, das, sagt Brecht, stimmt auch dann, wenn es nicht zur herrschenden Staats- oder Kirchenraison passt. Vorausgesetzt das Fernrohr taugt etwas. An dessen Weiterentwicklung lässt er Galilei intensiv Anteil nehmen, auch nachdem man ihn gezwungen hat, seinen Thesen abzuschwören.

Der wissenschaftlichen Erkenntnis sind heute jedenfalls in den meisten Ländern kaum noch Grenzen durch weltanschauliche Denksperren gesetzt. Auch die Fernrohre haben sich enorm verbessert. Wobei um zum heutigen Körber-Preisträger Prof. Stefan Hell zu kommen es bei seinen Entdeckungen auf dem Gebiet der Optik eher um den Blick in die Tiefe geht, um Einblicke in die Nanowelt, statt um solche in galaktische Fernen.     

 

Und dabei haben Sie, Herr Professor Hell, tatsächlich einen Weg gefunden, um mit einem Lichtmikroskop kleinere Strukturen sichtbar zu machen, als dies nach den physikalischen Gesetzen eigentlich möglich wäre.

Haben sie also die Gesetze der Physik überlistet?

 


Meine Damen und Herren,


ich will es naturwissenschaftlich geschulteren Menschen überlassen, hierüber zu philosophieren. Galileo Galilei hätte sein Vergnügen daran gehabt und Brecht sowieso. Was ich aber glaube beurteilen zu können, ist, dass hier ein wissenschaftlicher Fortschritt erzielt worden ist, der den Menschen nützt.

Mediziner sind in der Lage, mit Hilfe der STED-Mikroskopie (Stimulated Emission Depletion / Stimulierte Emissionslöschung) lebende Zellen mit Lichtmikroskopen zu beobachten auch jenseits der bisherigen Grenze. Hirnforscher haben mit der neuen Auflösung die Bewegungen winziger Synapsenbestandteile in lebenden Nervenzellen sichtbar gemacht. Man ahnt, welche Erkenntnis- und letztlich Therapiemöglichkeiten, über die die Medizin bisher nicht verfügte, sich daraus ergeben können.

 

In der Tat sind Lichtmikroskope für die Biowissenschaften die einzige Möglichkeit, das Innere lebender Zellen und Prozessdynamiken zu beobachten.


Die wichtigste bildgebende Methode in der biomedizinischen Grundlagenforschung ist die Fluoreszenzmikroskopie. Das ist eine spezielle Form der Lichtmikroskopie; sie wird von nahezu 80 Prozent aller Forschungen im Bereich der Lebens- und Naturwissenschaften angewendet, auch in Hamburg. Sehr stark beschäftigen sich hiermit das Universitäts-Klinikum Eppendorf, die Leibniz-Einrichtungen Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie, sowie Hamburger Hochschulen mit entsprechenden Forschungsschwerpunkten. Die Methode kommt besonders vielfältig an der medizinischen Fakultät sowie der Fakultät für  Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg zum Einsatz.

 

Herkömmliche Methoden haben jedoch nicht ausgereicht, um biologische Vorgänge auf der Nanoskala zu beobachten bis zu den Arbeiten von Stefan Hell.

 

Sie, Prof. Hell, haben sich ab Ende der 1980er Jahre während Ihrer Promotion mit dem Problem der Auflösungsgrenze auseinandergesetzt. Sie haben mit dem Konzept der STED-Mikroskopie erstmalig die Möglichkeit eröffnet, die so genannte Abbesche Auflösungsgrenze zu überwinden.


Zeit wurde es, wenn ich das einmal so prosaisch sagen darf! Denn der Physiker und Sozialreformer Ernst Karl Abbe hatte schon 1873 das Gesetz formuliert, nach dem Objekte, die enger als 200 Millionstel Millimeter nebeneinander liegen, im Bild nicht unterschieden werden könnten. Wie man jetzt sieht oder besser gesagt: wie die damit befassten Wissenschaftler jetzt sehen geht es doch.

 

Sie haben also das Prinzip jener Mikroskopie weiter verfeinert, mit dessen Hilfe sich die Verteilung von Proteinen in einer Zelle beobachten lässt. Dafür wird die Fluoreszenz, einfach gesprochen, spezifisch ein- und ausgeschaltet und dazu wiederum bedurfte es neuer Fluorenszenz-Farbstoffe. Die haben Sie, Prof. Hell, mit Erfolg erforscht. Für diese, Ihre aktuellste wegweisende Entdeckung auf dem Gebiet der Optik, und darüber hinaus für Ihre Verbesserung der STED-Mikroskopie werden Sie heute den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten.  

 

Diese Technologie eröffnet, wie angedeutet, völlig neue Möglichkeiten des Verständnisses von Krankheiten auf molekularer Ebene. Galilei und Brecht wären begeistert. Kurt A. Körber, 1959 Gründer der Stiftung, mit Sicherheit auch.


Herr Professor Hell, Sie sind Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen. Das ist die Stadt, über die zwar Heinrich Heine gelästert hat, sie sei berühmt für Ihre Würste und Universität, aber das hatte persönliche Gründe. Göttingen ist heute wie vor zweihundert Jahren eine Stadt, durch die der Geist interdisziplinären  wissenschaftlichen Denkens weht zum Nutzen aller Nachbarorte nah und fern, inklusive Hamburg.

Wenn unsere Stadt auch noch nicht selbst über ein STED-Mikroskop verfügt, so sind wir doch auf dem Gebiet der bildgebenden Methoden teilweise führend. Aktuell ist beabsichtigt, durch Forschung am Zentrum für strukturelle Systembiologie, CSSB, spezifische Vorgänge  zu komplexen zellulären Prozessen im Infektionsgeschehen zu identifizieren. Methoden, wie Sie sie entwickelt haben, Prof. Hell, sind dabei von zentraler Bedeutung.

Sie selbst arbeiten längst an den nächsten Schritten, an Alternativen zu STED, damit an der weiteren Verbesserung der Lichtmikroskopie. Und nicht zu vergessen, Sie verbinden Ihre Arbeit in Göttingen mit der Leitung einer Abteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

 

 

Meine Damen und Herren,


Wissenschaftspolitik hat für den neuen Hamburger Senat einen hohen Stellenwert.

 

Gemeinsam mit den Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen außerhalb der Universität arbeiten wir an neuen Entwicklungsperspektiven. Sie wissen und freuen sich vermutlich mit uns, Herr Prof. Hell, dass das eben erwähnte CSSB am Forschungscampus Bahrenfeld zu den wichtigsten Bausteinen gehört. Der steigende internationale Stellenwert des Forschungscampus wird Hamburgs Rang als Standort für Spitzenforschung unterstreichen.

 

Nicht unterstreichen muss ich den Stellenwert, den die Körber-Stiftung für die Stadt Hamburg hat. Dass sie alljährlich den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft an herausragende Wissenschaftler für zukunftsträchtige Forschungsarbeiten vergibt, ist eine der zahlreichen verdienstvollen Aktivitäten der Stiftung, eine von großer Bedeutung über Hamburgs Grenzen hinaus.

 

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf Galilei und seine optischen Hilfsmittel zurückkommen. Die waren mit den heutigen nicht zu vergleichen und doch ihrer Zeit voraus, indem sie Dinge zeigten, die das Volk noch gar nicht wissen sollte. Aber der menschliche Forscherdrang hat sich nie leicht entmutigen lassen zum Glück.

Es gibt bei Brecht die Szene, in der Galilei gefragt wird: Was, wenn Gott es gefallen hätte, seine Gestirne so laufen zu lassen? (zeichnet eine gezackte Linie in die Luft). Darauf Galilei: Dann hätte es ihm auch gefallen, unseren menschlichen Verstand so (zeichnet dieselbe gezackte Linie) denken zu lassen.

Ich danke der Körber-Stiftung für Ihre Unterstützung geradlinigen und gezackten Denkens und ich danke Wissenschaftlern wie Ihnen, Prof. Hell, dass Sie nicht nur durch

Fernrohre und Mikroskope schauen, sondern so intensiv an deren Verbesserung arbeiten.

 

Vielen Dank.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.