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17.11.2011

Vortrag an der Tongji-Universität: Die Finanzkrise und ihre Folgen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Studenten,

 

es ist eine große Ehre für mich, als Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg hier in der Tongji Universität zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Ihre Universität blickt auf eine mehr als 100 Jahre alte Tradition zurück. Sie zeigt ihren Erfolg und ihre tiefe Verwurzelung in Shanghai, der Partnerstadt von Hamburg. Ich sehe hier aber auch eines der Leuchtturmprojekte der Zusammenarbeit zwischen Deutschland

und China.

Besonders freue ich mich, dass die Tongji Universität eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg verbindet. Und mit dem in Hamburg ansässigen German Institute for Global and Area Studies.

Auch die weitere wissenschaftliche Kooperation zwischen Hamburg und China entwickelt sich dynamisch: Für zahlreiche Studenten aus China ist Hamburg ein attraktiver Studienstandort und bietet zukunftsorientierte Hochschulbildung. Gegenwärtig bilden sich meines Wissens 450 chinesische Studenten in Hamburg weiter.

 


Meine Damen und Herren,

 

Reichen die Wurzeln tief, gedeihen die Zweige gut, so heißt es in einem chinesischen Sprichwort. Mehr noch als die Verbundenheit der  Wissenschaften sind auch die  Wirtschaftsbeziehungen nicht nur zwischen Deutschland und China, sondern auch zwischen Hamburg und Shanghai traditionell tief in Hamburg verwurzelt oder besser gesagt: verankert.

Bereits 1731 kam das erste deutsche Schiff von seiner langen Reise aus China zurück und machte im Hamburger Hafen fest. Und 1845 gründete ein Hamburger Unternehmen als erste europäische Firma eine Niederlassung in Guangzhou.

Heute ist Deutschland weltweit einer der größten Handelspartner der Volksrepublik China. Mehr als die Hälfte des gesamtdeutschen Chinahandels wird über den Hamburger Hafen abgewickelt.

Jeder dritte Container kommt aus China oder wird dorthin verschifft. Damit ist Hamburg das europäische Zentrum Nr. 1 für den Handel mit China.

Etwa 440 Firmen aus Ihrem Land sind in Hamburg und von Hamburg aus aktiv. Damit sind wir, ist die Hansestadt das europäische Zentrum in Kontinentaleuropa für chinesische Firmen.

Zwischen 30 und 50 chinesische Unternehmen siedeln sich jedes Jahr neu in Hamburg an. Der Hamburger Hafen bildet  also die Brücke zwischen Europa und Fernost, zwischen Hamburg und Shanghai.

Der Hafen ist aber auch der starke Wachstumsmotor der Region. Die wirtschaftliche Bedeutung der Metropolregion ist ohne den Hamburger Hafen nicht denkbar. Er macht Hamburg erst zur internationalen Handelsmetropole, zur wichtigsten Handelsdrehscheibe Nordosteuropas und dem europäischen Zentrum für den Handel mit China. Er verfügt über das modernste Containerterminal der Welt.

Die leistungsstarken Abfertigungsterminals des Hamburger Hafens und die in Jahrhunderten traditionell gewachsenen Handelsbeziehungen sind Grundlage dafür, dass die Wirtschaft in Deutschlands bedeutendster Hafenmetropole besonders gut wächst und gedeiht.

Und zwar in vielen Branchen. Hamburg ist nämlich auch ein bedeutender Industriestandort, sogar eine der größten Industriestädte in Europa. Handel und Wandel haben also eine starke industrielle Basis.

Unsere Clusterpolitik erfasst die Bereiche Logistik, Luftfahrt und Erneuerbare Energien, Life Sciences, Maritime Wirtschaft, Kreativwirtschaft und Gesundheitswirtschaft. In allen sind wir stark. Die  Luftfahrtindustrie, zum Beispiel, beschäftigt in der Metropolregion fast 40.000 Arbeitnehmer.

Eine Besonderheit möchte ich herausstellen. Wie Sie wissen, hat Deutschland in diesem Jahr beschlossen, die Atomkraftnutzung zu beenden. Auch in Hamburg gewinnt deshalb die Frage immer mehr an Bedeutung, wie man die regenerativen Energien besser nutzen kann. Dieses hat für uns hohe ökologische, aber auch wirtschaftliche Bedeutung und ich sehe da große Möglichkeiten einer verstärkten Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen.

Der Bereich Medien- und IT-Wirtschaft ist eine der zentral bedeutenden Branchen Hamburgs. In der Stadt beschäftigt sie ungefähr 110.000 Menschen in über 21.000 Unternehmen.


Als Sitz für die chinesische Kaufmannschaft bietet Hamburg also auch über den Hafen hinaus ideale Bedingungen für chinesische Unternehmen, bessere als  in jeder anderen europäischen Stadt.

Entsprechend vielfältig sind die Dienstleistungsangebote für diese Unternehmen und für die mehr als 10.000 Menschen chinesischer Abstammung, die in der Metropolregion leben.

Ob Logistikunternehmen, Lebensmittelläden, Restaurants, Dolmetscher- und Übersetzungsbüros, Steuerberater oder Anwaltskanzleien man spricht Chinesisch. Und in der chinesischen Linghan-Schule selbstverständlich auch Deutsch.

Mit dem Hamburg Liaison Office Shanghai unterhält Hamburg seine eigene Botschaft in der Partnerstadt. Das Liaison Office hilft, die bereits heute sehr engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Städten weiter auszubauen: Schon jetzt unterhalten mehr als 500 Hamburger Firmen Geschäftsverbindungen in die Partnerstadt, und mehr als 50 Hamburger Unternehmen sind in Shanghai mit eigenen Niederlassungen, Joint Ventures oder Produktionsstätten vertreten.

Was man im Marketingdeutsch Hamburgs China-Kompetenz nennt, wird in der Weltmetropole seit langem gelebt. Hanbao ist zunehmend auch eine erste Adresse im deutsch-chinesischen Kulturaustausch!

Seit 1986 besteht eine Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Shanghai. Eine Freundschaft, die sich auf viele Gemeinsamkeiten der beiden Hafenstädte gründet. Kein zartes Pflänzchen mehr, sondern eine gewachsene Verbindung, die nicht nur wirtschaftliches Wachstum befördert, sondern kostbare kulturelle Blüten treibt.

Dieses Jahr feiern wir das 25. Jahr des Bestehens dieser Städtepartnerschaft. Mit den Veranstaltungsreihen CHINA TIME und Hamburg Summit, die alle zwei Jahre die traditionsreichen und engen Verbindungen zwischen der Hansestadt und China belegen, vermitteln wir Einblicke in die chinesische Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft.

Und wir haben noch viel vor. Um Ihnen nur ein Beispiel zu nennen: Mit dem Hamburg Ballett und NDR-Sinfonieorchester gehen nächstes Jahr zwei bedeutende Hamburger Kulturinstitutionen auf Asien Tournee. Das Hamburg Ballett wird am 11. Februar in Shanghai sein, und am 31. Mai 2012 wird unser Sinfonieorchester sich die Ehre geben, in Shanghai präsent zu sein und Sie musikalisch zu unterhalten.

Meine Damen und Herren, die Beziehungen zwischen Deutschland und China, zwischen Hamburg und Shanghai gründen auf einer langen Tradition der Zusammenarbeit sowie des gegenseitigen Vertrauens, sie sind intensiv und entwickeln sich dynamisch.

Dies ist nicht nur sehr schön, sondern auch für beide Seiten sehr wichtig. Insbesondere in Zeiten, in denen die Kapitalmärkte und die reale Wirtschaft von heftigen Turbulenzen erfasst werden und sich erhebliche Risiken für die europäische und die Weltwirtschaft auftun.


So ist es von kaum zu überschätzender Bedeutung, dass Deutschland und China eine solch starke Zusammenarbeit verbindet.

 

 

Meine Damen und Herren,


um die aktuellen Probleme in der Eurozone zu verstehen, muss man an die Entstehungsgeschichte der gemeinsamen europäischen Währung erinnern.

Bereits mit dem Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 einigten sich die Mitgliedstaaten der EU darauf, bis zum 1. Januar 1999 eine Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen.


Schon damals wurde vielfach diskutiert, ob eine einheitliche Währung nur am Ende einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen kann oder ob, umgekehrt, eine einheitliche Währung eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik nach sich ziehen würde.

Der Einführung des Euro war ein politisches Projekt, das der Realisierung einer fortschreitenden europäischen Integration dienen sollte.

 

Um dem Euro beitreten zu können, mussten die Mitgliedstaaten eine Vielzahl von Konvergenzkriterien erfüllen, wie zum Beispiel Wechselkursstabilität, Preisstabilität und andere.

Die wichtigsten Konvergenzkriterien waren de facto zwei:

 

  • Erstens, Unterschreiten einer maximalen Defizitquote im Staatshaushalt von 3 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts und
  • zweitens, Unterschreiten einer maximalen  Schuldenstandsquote für den Staatshaushalt von 60 Prozent des Brutto-Inlands-Produkts.


Diese mit dem Vertrag von Maastricht verbundene Norm wird als Stabilitäts- und Wachstumspakt bezeichnet. EU-rechtlich wurde der Pakt im Übrigen über zwei Verordnungen Wirklichkeit.

Die gemeinsame Währung und der Stabilitätspakt definieren den Korridor, in dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu einer vertieften Kooperation finden sollten.


Bei der Einführung des Euros als Zahlungsmittel zum 1. Januar 2002 erfüllten zwölf Mitgliedstaaten die Konvergenzkriterien. Mit Ausnahme von  Dänemark, Großbritannien und Schweden führten alle damaligen EU-Mitgliedstaaten den Euro als gemeinsame Währung ein.


Mit weiteren Beitritten von Slowenien, Malta, Zypern, der Slowakei und Estland in den Jahren 2007 bis 2011 zur Euro-Zone umfasst die Währungsunion heute 17 von inzwischen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Davon abgesehen, ist der Euro auch im Vatikanstaat, in San Marino, Andorra und Monaco amtliche Währung.

Heute bezahlen mehr als 330 von insgesamt 500 Millionen Menschen mit dem Euro und nutzen ihn als tägliches Zahlungsmittel.

Für uns jedoch ist der Euro weit mehr als nur eine gemeinsame Währung, er ist auch einer der bislang größten Meilensteine europäischen Integration und eine große Erfolgsgeschichte. Er steht für unseren Wohlstand und hat einen stabilen Außenwert.


Der Euro ist zugleich eine der wichtigsten  Währungen der Welt.


Und er garantiert, dank des umsichtigen Agierens der Europäischen Zentralbank, seit einem Jahrzehnt Inflationsraten von unter drei Prozent in der gesamten Eurozone.


Davon profitieren nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch Unternehmen und die europäischen Bürgerinnen und Bürger über  geringe Zinsen, sei es für Staatsanleihen, für private Kredite oder  Kredite an Unternehmen.


International agierende Unternehmen ziehen darüber hinaus große Vorteile aus der Währungsunion, weil sie Geschäfte im Euro-Raum ohne das Risiko von  Wechselkursschwankungen tätigen können. Für deutsche Unternehmen gilt dies aufgrund ihrer Exportorientierung ganz besonders.

Die Entscheidung für eine gemeinsame europäische Währung war und bleibt richtig.

Dennoch müssen wir festhalten, dass in der Vergangenheit nicht in allen Staaten, deren nationale Währung der Euro ist, die Regeln zur Einhaltung der Haushaltsstabilität so streng angewandt wurden, wie dies nötig gewesen wäre.

 

Auch wenn das Ziel der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion niemals eine vollständige Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse war, so galt und gilt weiterhin das Ziel einer schrittweisen Annäherung.

Und die hierfür relevanten Kriterien wurden im Laufe der Zeit durch die Mitgliedstaaten mehrfach verletzt, ohne dass entsprechende Konsequenzen gezogen wurden. Auch nicht von Rating-Agenturen oder internationalen Investoren an den Finanzmärkten. Übermäßige Verschuldungsquoten und Leistungsbilanzprobleme einzelner Mitgliedstaaten sowie übermäßige Verschuldungsquoten sind kein Phänomen der gerade vergangenen zwei Jahre, sie sind über viele Jahre hinweg gewachsen.


Und dennoch haben sich die Rahmenbedingungen mit dem Sturz der US-amerikanischen Bank Lehman Brothers und der damit einhergehenden Finanzkrise fundamental geändert.

Es ist nicht nur so, dass die Finanzkrise eine der größten Wirtschaftskrisen seit 1929 nach sich zog. Vielmehr mussten Staaten Summen in nie bekanntem Ausmaß einsetzen, um Banken zu retten und die Wirtschaft über Konjunkturprogramme zu stützen. So hatte allein Deutschland ein Konjunkturpaket von über 50 Milliarden Euro aufgelegt. Mit Erfolg, was die schnelle wirtschaftliche Erholung bewies.


Finanziert wurden diese Maßnahmen in der Regel über eine höhere Verschuldung. Die Schuldenstände vieler Länder stiegen dadurch nochmals deutlich an.

In den Fokus der Finanzmärkte rückte damit nicht der Euro selbst, der nach wie vor eine stabile Währung ist, sondern es waren die übermäßigen Staatsschulden einzelner Mitglieder der Eurozone. Und damit die Frage der Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen! Dass dabei Europa und der Euro im Vordergrund stehen, ist übrigens angesichts der Verhältnisse in anderen Wirtschaftsräumen nicht immer rational nachvollziehbar.

Fakt ist, dass Griechenland die Staatsschulden entglitten sind. Fakt ist aber auch, dass Griechenland nur für 2,5 Prozent des europäischen Sozialprodukts steht. Andere Regierungen hatten sich in der Vergangenheit übernommen und zu spät gegengesteuert. Die Folge ist: Einige Länder Europas haben ein sehr ernsthaftes fiskalpolitisches Problem. Einige nicht alle.

Fakt ist aber auch, dass Krisen in Europa stets als Chancen genutzt wurden. Dies ist Kern und Konstante der Europäischen Bewegung.


Und: Gemessen an dem Zustand der Wirtschafts- und Währungsunion vor Ausbruch der Finanzkrise sind große Fortschritte, Fortschritte auch im Hinblick auf die europäische Integration, erzielt worden. Insofern kann man der Krise vielleicht sogar etwas Positives abringen.

 

  • In einem ersten Schritt wurde im April 2010 die Überlebensfähigkeit Griechenlands mit insgesamt 110 Milliarden Euro gesichert. Die Hilfen sind an strenge Auflagen gekoppelt.

 

  • Im Mai 2010 wurde zur Sicherung des Euro ein befristeter Euro-Rettungsschirm mit einem Volumen von 440 Milliarden Euro geschaffen. Irland und Portugal nehmen die Finanzhilfen in Anspruch; auch sie müssen im Gegenzug ein Anpassungsprogramm umsetzen.

 

  • Mit der Einführung des Europäischen Semesters im September 2010 wurde erstmals ein neues Verfahren  der stärkeren Koordination von Wirtschafts- und Haushaltspolitik in der gesamten Europäischen Union eingeleitet. Und dies sind nicht nur politische Bekenntnisse. Die nationalen Haushalte werden vor Verabschiedung durch die Parlamente im Lichte der Einhaltung der EU-Ziele mit der EU-Kommission abgestimmt.

 

  • Zur dauerhaften Stabilisierung des Euro sind weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht worden. Ich will hier nur die Wichtigsten nennen:

 

(1) die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, um weitere Schuldenkrisen und sich verschärfende makroökonomische Ungleichgewichte in der EU bekämpfen zu können. Von besonderem Interesse ist hierbei die Stärkung der präventiven Komponente, damit Schieflagen, wie wir sie heute sehen, künftig vermieden werden.


(2) den Euro-Plus-Pakt, eine freiwillige Selbstverpflichtung der Eurostaaten zu einer engeren Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik;


(3) die Einrichtung eines dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus mit einem effektiven Darlehensvolumen von 500 Milliarden Euro;

 

(4) die Zusicherung weiterer Finanzhilfen für Griechenland im Umfang von über 130 Milliarden Euro.

 

In der Krise hat sich gezeigt, dass die Europäische Union nicht nur eine Union von Mitgliedstaaten, sondern auch eine Solidargemeinschaft ist und Europa gewillt ist, die Eurozone mit allen Mitteln zu verteidigen.

Es reicht nicht, Krisen nur gut zu managen, nachdem sie entstanden sind. Das zeigen die jüngsten Ereignisse. Was wir wirklich benötigen, ist ein gemeinsam geteilter Wertekanon für nachhaltige öffentliche Finanzen.

 

Europa und die Eurozone brauchen klare gemeinsame  Vereinbarungen, mit denen wir die europäische Wirtschafts- und Finanzordnung dauerhaft stabilisieren.


Doch wie soll das geschehen?

 

Erstens: Wir brauchen in der Euro-Zone ein gemeinsames Verständnis für den Umgang mit den öffentlichen Haushalten. Das ist die Grundlage der Solidarität, die sich jetzt im vorläufigen Rettungsschirm EFSF und später im Europäischen Stabilitätsmechanismen, der dauerhaft angelegt sein wird, ausdrücken soll.

 

Wir müssen auch in Europa darüber einig werden, dass die historische und über Jahrzehnte gewachsene Staatsverschuldung nicht mehr weiter anwachsen darf. Deshalb ist es richtig, wenn sich jetzt auch die anderen Länder zu strukturell ausgeglichenen Haushalten verpflichtet haben.

 

Es führen viele Wege zu einem gesunden Haushalt. Letztlich müssen die einzelnen Länder demokratisch selbst entscheiden, ob sie für zusätzliche Ausgaben höhere Steuern verlangen wollen oder wegen geringerer Steuern geringere Ausgaben akzeptieren.

 

Zweitens: Wir brauchen eine Strategie, wie die Europäische Union die Einhaltung der Schuldenbremse wie wir sie in Deutschland nennen , wie sie also eine nachhaltige Finanzpolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten im Zweifel durchsetzen kann.

Das kann angesichts der Vielfalt Europas nicht dadurch geschehen, dass alle Fragen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens einheitlich von Brüssel aus geregelt werden. Das war auch nie das Ziel der Europäischen Union.

Die Zukunft der EU kann auch nicht darin liegen, einzelnen Mitgliedstaaten etwa Exportquoten zu oktroyieren. Ziel muss vielmehr sein, die Wettbewerbsfähigkeit aller Mitglieder der Eurozone zu steigern, und nicht diejenigen zu bestrafen, die als Stütze innerhalb der Europäischen Union fungieren.

 

Im Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt es auch Vorschriften, die in der Umsetzung problematisch sind. So sollte die bisherige Sanktionslogik überdacht werden. Es ist nicht in jedem Fall sinnvoll, einem Land, das ohnehin schon Budgetschwierigkeiten hat, auch noch zusätzliche Strafzahlungen vorzuschreiben.

 

Vielmehr sollte der EU-Kommission künftig das Recht eingeräumt werden, den Ländern, die gegen die Stabilitätskriterien und die Zielsetzung eines ausgeglichenen Budgets verstoßen, verbindliche Regeln hinsichtlich ihrer zu erhebenden Steuern zu setzen. Das muss die Konsequenz einer veränderten Finanzverfassung in der EU sein. Eine entsprechende Änderung der europäischen Verträge macht meines Erachtens großen Sinn. Und ich bin froh, dass ein Fahrplan zu Vertragsänderungen schon bis März kommenden Jahres vorliegen wird.

 

Ich plädiere bei den Vertragsänderungen dafür, dass die Europäische Union für ein ausgeglichenes Budget sorgt, wenn einzelne Staaten dies nicht mehr allein können.

Diese zusätzliche Kompetenz der EU würde die Glaubwürdigkeit des gemeinsamen europäischen Ziels ausbalancierter Budgets erheblich erhöhen, ohne zu weit reichende Eingriffe in die nationale Souveränität darzustellen.

 

Drittens: Wir brauchen weitere Fortschritte in der Koordinierung der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in Europa. Die Wirtschafts- und Währungsunion, und ich betone hier beide Komponenten Wirtschaft und Währung, müssen mit Leben erfüllt werden, zum Beispiel durch Verabredungen über gemeinsame Bemessungsgrundlagen oder durch gemeinsame regulatorische Initiativen.

Vielleicht sollten einige Mitgliedsstaaten vorangehen. Die Absicht des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin, gemeinsame Grundlagen für die Besteuerung von Körperschaften zu entwickeln, ist ein solcher Schritt. Ich bin überzeugt, dass sich kluge Lösungen durchsetzen würden. Und es gibt auch unter bestehendem EU-Recht Möglichkeiten dafür:

 

So sieht der EU-Vertrag ausdrücklich die Möglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten vor, verstärkt zusammenzuarbeiten. Dazu müssen mindestens neun Länder zusammenkommen, im Idealfall natürlich alle 17 Mitglieder der Euro-Zone. Sie müssten sich auf Vorschlag der EU-Kommission eine Ermächtigung durch den Rat holen und könnten dann vorexerzieren, wie der künftige Pfad gemeinsamer Rechtsetzung aussehen könnte.

 

Leider ist dieses Verfahren bislang noch kaum ausprobiert worden, weil es viele für recht mühsam halten. Ich bin aber sicher, dass solche Pfadfinder-Projekte keine Abkehr von der gemeinsamen Europa-Idee bringen werden, sondern neue Impulse und eine dynamischere Entwicklung.

 

Hinzu kommt auf globaler Ebene die notwendige Debatte über die Regulierung der Finanzmärkte. Und hier wende ich mich auch an China. Nicht erst seit 2008 wissen wir, dass den internationalen Finanzströmen, die kulturelle, soziale und auch politische Einbettung fehlt. Ohne angemessene regulatorische und gemeinsame Rahmenbedingungen verselbstständigen sich Märkte und Marktprozesse. Auch schädigen sie die reale Wirtschaft und Produktionsprozesse.

 

Das heißt nicht, die Finanzmärkte insgesamt negativ zu werten. Deren Selbstregulierungskräfte als Korrektiv zu nutzen, ist nicht verkehrt. Aber sie brauchen Regeln.

 

Auch wenn oftmals und nicht immer unberechtigt über die Tätigkeit von Rating-Agenturen geklagt wird, darf dies aber nicht zu dem Schluss führen, dass solche Bewertungen nicht hilfreich wären. Mit Spreads lässt sich gut arbeiten, weil sie Risiken in der Bonität klar benennen und für Transparenz sorgen.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

Deutschlands Volkswirtschaft hat zurzeit ohne Sozialversicherung eine historisch niedrige Staatsquote. Seinen verfassungsmäßigen Aufgaben kann ein Sozialstaat wie unserer aber nur dann nachkommen, wenn ihm dafür die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Das ist und bleibt richtig, und natürlich besteht ein Konflikt zum ebenso richtigen und notwendigen Schuldenabbau. Den legen die Erfahrungen mit der Krise nahe.

Deutschland hat sich die Schuldenbremse 2009 in die Verfassung geschrieben. Das ist gut. Wir suchen unseren Weg hierbei nicht in symbolischen Sparaktionen und Kraftanstrengungen, sondern in einer maßvollen Ausgabenentwicklung.

 


Meine Damen und Herren,

 

beim Lösen unserer spezifischen Aufgaben kann uns China nicht helfen. Aber wie verflochten die Weltwirtschaft heute ist die reale und auch die Finanzwirtschaft das muss ich eigentlich nicht mehr betonen. Das geht weit über die für Hamburg so wichtige Containerschifffahrt hinaus, die ich eingangs erwähnt habe.

Die asiatischen Märkte sind heute nicht nur Produktionsstandorte für Europa und Amerika, ganz Asien ist ein großer dynamischer Wirtschaftsraum. Wie dynamisch, zeigt der Blick aus jedem Fenster hier in Shanghai.

Überall in Asien wächst die lokale Nachfrage. Der innerasiatische Handel nimmt sprunghaft zu. Und das ist auch für uns in Europa eine der zentralen Chancen unserer wirtschaftlichen Entwicklung.

Als boomende Konsum- und Investitionsgütermärkte und als Kooperationspartner bieten die asiatischen Länder international wettbewerbsfähigen Unternehmen ganz neue Wachstums- und Investitionschancen. Die Globalisierung durch weltweite Arbeitsteilung erhöht die wirtschaftliche Gesamtleistung. Ein florierender Welthandel bis in alle Winkel der Erde bringt vielen Menschen neue Arbeit und Wohlstand.

Aber das Ganze funktioniert dauerhaft nur, wenn Politik den Gestaltungsanspruch hat und behält: die Chancen globaler, wirtschaftlicher Arbeitsteilung zu nutzen und auf Risiken und Fehlentwicklungen korrigierend einzuwirken.

Was das betrifft, balancieren wir am Ende über dasselbe dünne Eis der Finanzmärkte. Lassen Sie uns in gemeinsamer Verantwortung rechtzeitig erkennen, wo sich Risse bilden und das Eis brechen könnte.

 

Vielen Dank.  

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.