arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

09.07.2009

"Wir bleiben weit unter den düsteren Prognosen"

Interview mit der Süddeutschen Zeitung

 

SZ: Herr Scholz, haben Sie mit Ihrem möglichen Nachfolger, CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, schon einen Termin für die Amtsübergabe gemacht?

 

Scholz: Nein, das ist nicht nötig. Und nicht nur angesichts dieser Bewerbung denken sicher viele, es ist besser, wenn der Amtsinhaber bleibt.



SZ: Trotz womöglich fast fünf Millionen Arbeitslosen im nächsten Jahr?



Scholz: Seien Sie mal lieber vorsichtig mit solchen Prognosen! Die Experten müssten gerade verwundert zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten nicht so gestiegen ist, wie sie vorausgesagt haben. Dass es besser gelaufen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass ich sehr früh entschieden habe, die Kurzarbeit auszubauen. Dadurch sind ein paar Hunderttausend Arbeitsplätze gerettet worden. Im Ausland hat sich die Arbeitslosigkeit teilweise dramatisch erhöht im Verhältnis zum letzten Jahr - in Deutschland nicht.

 


SZ: Etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiteten im März kurz. 1991, nach dem Wiedervereinigungsboom, und während der Rezession 1993 waren ebenfalls Millionen in Kurzarbeit. Danach kletterte die Zahl der Arbeitslosen jedes Mal auf Rekordhöhe. Kurzarbeit ist eine Wette gegen die Zeit. Im Moment sieht es so aus, dass Sie diese Wette verlieren werden.



Scholz: Der Vergleich hinkt. In diesen früheren Blütephasen der Kurzarbeit weitete die Politik die Fördermöglichkeiten aus, als sich die Krise schon voll entfaltet hatte. Wir sind diesmal schneller gewesen. Wir haben die Kurzarbeit gefördert, als es gerade losging, als die Unternehmen noch nicht entlassen hatten.



SZ: Sie glauben also, es wird doch nicht so schlimm?



Scholz: Ganz klar ist: Die Grundlage unserer Entscheidung ist die Annahme, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung im Laufe dieses Jahres und des nächsten Jahres erholen wird, sicherlich nicht so, dass wir auf Boomniveau zurückkehren, aber doch so, dass die meisten Beschäftigten, die jetzt noch an Bord sind, auch gebraucht werden.



SZ: Und was gibt Ihnen die Hoffnung, dass es so auch kommt?

 

 

Scholz: Alle Unternehmen, die Kurzarbeit nutzen, geben dafür auch Geld aus. Ein Arbeitgeber, der jetzt schon annimmt, dass er seine Mitarbeiter nicht mehr braucht, gibt zu viel Geld aus,  wenn er auf Kurzarbeit setzt. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir die Wette gewinnen können.

 

 

SZ: Soeben hat die große Koalition die mögliche Zahlung von Kurzarbeitergeld von 18 auf 24 Monate verlängert. Glauben Sie wirklich, dass es Unternehmen gibt, die volle 24 Monate kurzarbeiten lassen?

 

Scholz: Es ist richtig, dass wohl nur wenige Unternehmen tatsächlich 24 Monate Kurzarbeit durchziehen werden. Wichtig ist aber, dass nun jeder Arbeitgeber, der Kurzarbeit anwendet, weiß, seine Mitarbeiter bekommen bis zu 24 Monate die staatliche Unterstützung. Er hat die Sicherheit, über diese lange Strecke durchhalten zu können.



SZ: Sie fürchten nicht, dass die 1,3 Millionen Kurzarbeiter die Arbeitslosen von morgen sein werden und die Zahl fünf Millionen im übernächsten Winter in der Statistik auftaucht?



Scholz: Ich bin ganz sicher, dass wir weit unter den düsteren Prognosen bleiben werden, die uns gegenwärtig täglich präsentiert werden.



SZ: Teuer wird die Krise auf jeden Fall. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) braucht im nächsten Jahr voraussichtlich ein Darlehen von 20 Milliarden Euro. Wie soll die BA das Darlehen an den Bund jemals zurückzahlen können?



Scholz: Die BA hat in guten Zeiten gewaltige Rücklagen aufgebaut. Wenn es wieder zu einer vernünftigen wirtschaftlichen Entwicklung kommt, wird es mehr Beitragseinnahmen geben. Die müssen dann dazu genutzt werden, das Darlehen zurückzuführen.



SZ: Und das soll gehen, ohne den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen?

 

Scholz: Ja, der Beitrag von 2,8 Prozent ist bis Ende 2010 festgeschrieben. Wir können in einer Wirtschaftskrise Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mit höheren Beiträgen belasten.



SZ: Und wie soll es mit dem Beitrag langfristig weitergehen?

 


Scholz: Wir brauchen in Deutschland einen Konsens über einen festen Beitragssatz, der möglichst über viele Jahrzehnte durchgehalten wird. Der Beitrag darf in der Wirtschaftskrise nicht nach oben gehen und in einer Boomphase nicht dramatisch nach unten. In den schlechten Jahren hilft der Bundeshaushalt mit einem Darlehen aus, in den guten zahlt die Bundesagentur den Kredit zurück und füllt die Reserven wieder auf.



SZ: Aber muss die Bundesregierung wegen des Milliardendefizits der BA im nächsten Jahr nicht doch soziale Leistungen kürzen? Der Berliner FDP-Spitzenkandidat, Martin Lindner, hat gerade vorgeschlagen, den Hartz-IV-Regelsatz um bis zu 30 Prozent zu verringern.

 

 

Scholz: Es wäre grundverkehrt, jetzt in der Krise den sozialstaatlichen Schutz zu reduzieren. Man darf sich aber nichts vormachen. Das geht nur, wenn wir eiserne Haushaltsdisziplin wahren. Wenn wir allerdings so wie die Union und die FDP ungedeckte Steuersenkungs-versprechen entwickeln in der Größenordnung von weit über zehn Milliarden Euro, dann ist eines ganz sicher: Das lässt sich nur finanzieren über eine erhebliche Staatsverschuldung, über Steuererhöhungen an anderer Stelle oder eben Kürzungen im Sozialbereich.

 


SZ: Das heißt, Sie rechnen nach den Bundestagswahlen mit einer Debatte über den Sozialetat?



Scholz: Der Sozialetat ist groß. Nur dort, und an keiner anderen Stelle des Bundeshaushaltes, ließen sich die versprochenen Steuersenkungen refinanzieren, und zwar über massive Kürzungen. Das heißt, die Steuersenkungen von CDU/CSU und FDP müssten die Rentner, die Arbeitssuchenden, die Bezieher von Wohngeld oder diejenigen, die eine Ausbildungsförderung bekommen, bezahlen. Der Vorschlag des Berliner FDP- Spitzenkandidaten ist symptomatisch. So denken die alle, die meisten reden nur nicht darüber.



SZ: Union und FDP locken mit Steuersenkungen. Sie, als Rentenminister, garantieren den Ruheständlern, dass ihre Rente nicht gekürzt wird. Geht das nicht auf Kosten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Wenn die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung in der Krise zurückgehen und die Renten zumindest konstant bleiben sollen, erhöht sich doch das Risiko, dass der Beitrag wieder steigt.

 

 

Scholz: Es sieht nicht danach aus, dass es dazu kommt. Grundlage unseres Rentensystems ist, dass die Renten der Lohnentwicklung folgen. Es gehört aber keineswegs zum System unserer Rentenversicherung, wie uns jetzt suggeriert wird, dass die Renten gekürzt werden. Dazu ist es bislang nie gekommen. Und ich kenne auch keine verlässliehe Berechnung, die beweist, dass dieser Fall eintreten wird.

 

 

SZ: Dann hätten Sie sich Ihre Garantie ja sparen können.

 

 

Scholz: Der Garantie hat der Bundestag mit großer Mehrheit zugestimmt. Und wir haben gute Gründe für eine gesetzliche Klarstellung. Fast jeden Tag rechnet ein neuer schlauer Professor oder ein neues schlaues Institut aus, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt und alles schief geht. Diesen Panikmachern, die bei vielen Millionen Rentnern Unsicherheit verbreiten, wollen wir mit der eindeutigen Sprache des Gesetzes Einhalt gebieten.



SZ: Ist eine Politik, die genauso wie Arbeitnehmer oder Arbeitslosen auch den 20 Millionen Rentnern Kürzungen zumutet, überhaupt noch möglich?

 

 

Scholz: Was treibt eigentlich die halbe Republik dazu, danach zu fragen, wann die Renten gekürzt werden? Die Rentner haben zuletzt mehrere Jahre ohne oder mit ganz geringen Rentensteigerungen verkraften und Belastungen hinnehmen müssen, die sich netto auf die Höhe ihrer Rentenzahlungen ausgewirkt haben. Auch sie haben über eine lange Strecke von 20 Jahren erhebliche Solidaritätsbeiträge für die Stabilität des Gesamtsystems geleistet. Und wir werden auch in Zukunft auf Ausgewogenheit achten müssen, allerdings ohne dass es zu Kürzungen bei der Rente kommt.

 

 

SZ: Den Satz, die Rente ist sicher, wollen Sie aber nicht in den Mund nehmen?

 

 

Scholz: Dieser Satz ist ein großes Problem für das Ansehen der Rentenversicherung in Deutschland. Tatsächlich sind dem Moment, als der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm diesen Satz auf einer Bonner Litfaßsäule plakatiert hat, viele Rentenreformen gefolgt. Deshalb haben viele Rentner - und nicht nur die - eine große Skepsis, was solche Zusagen betrifft. Es wäre besser gewesen, wenn dieser Satz nie gesagt worden wäre. Wir werden noch viele Jahre brauchen, bis das Ansehen der Rentenversicherung wiederhergestellt ist. Und das schaffen wir nur, wenn wir für eine vernünftige Balance zwischen Beiträgen und Leistungen sorgen.

 

 

SZ: Die SPD versprach vor den Wahlen 2005, dass es mit ihr keine Erhöhung der Mehr-wertsteuer geben wird. Die kam aber doch, mit den Stimmen der SPD. Jetzt verspricht der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück ebenfalls, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Unterschreiben Sie das auch?



Scholz: Was die Mehrwertsteuer betrifft, hat sich die Politik nach der letzten Bundestagswahl nicht mit Ruhm bekleckert. Die Konsequenz daraus ist: Ansagen, die wir machen, müssen hinterher gelten. Ich schließe mich meinem Kollegen Steinbrück an.

 

 

SZ: Meinen Sie, dass Ihnen das irgendjemand glaubt?



Scholz: Die Bürger sind sicherlich sehr zurückhaltend geworden. Deshalb glaubt ja überhaupt niemand der Union und ihren Steuersenkungsversprechen.



SZ: Dann glaubt die große Mehrheit der Bürger Ihnen auch nicht.

 

Scholz: Das ist doch plausibel: Wenn wir Haushaltsdisziplin walten lassen, können wir die massiven Schulden, die wir zur Krisenbekämpfung aufhäufen, wieder zurückführen.

 

 

Interview: Thomas Öchsner

 

Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Süddeutschen Zeitung.