Interview mit der HAZ
Am Wochenende geht die Regierung in Klausur. Was erwarten Sie von der Kanzlerin?
Sie muss zunächst ehrlich eingestehen, dass der Koalitionsvertrag nicht umgesetzt werden kann, ja nie realistisch war und dass Wahlversprechen von FDP und Union deshalb nicht gehalten werden können. Diese Woche hat wieder gezeigt, dass wir nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine Führungskrise haben. Die Regierung hat keinen Plan für die Zukunft.
Sie haben so etwas mal erlebt...
Ich kann nur warnen. Die Politik muss ehrlich sein. Sie muss sich ernsthaft mit den Problemen dieses Landes beschäftigen. Es darf sich nicht alles nur um PR, ums Verkaufen von Politik, drehen.
Es sieht ganz so aus, als bleibe die Arbeitsmarktpolitik nicht von Einsparungen verschont.
Das wäre ein Bruch von Wahlversprechen. Und die SPD hat gemeinsam mit Union und FDP im Rahmen der Jobcenter-Reform vereinbart, nicht bei der Arbeitsmarktpolitik zu sparen. Wir haben miteinander im Gesetz einen Personalschlüssel für die Arbeitsvermittlung verankert, der besonders bei Jugendlichen, aber auch bei allen Langzeitarbeitslosen eine gute, individuelle Betreuung garantiert. Und wir wollten 3200 befristete Vermittlerstellen in Dauerstellen umwandeln. Manche in der Koalition scheinen die Vereinbarungen aufkündigen zu wollen. Die Koalition braucht aber unsere Stimmen für die geplante Verfassungsänderung. Und die gibt es nur bei Vertragstreue.
Neue Kompromisse sind mit der SPD nicht möglich?
Wozu? Die Gespräche haben lang genug gedauert. Und die Arbeitsvermittlung wird immer noch unterschätzt. Es ist belegt, dass sich jeder zusätzliche Vermittler auszahlt. Eine gute personelle Ausstattung der Jobcenter senkt die Arbeitslosigkeit und damit auch die Kosten von Arbeitslosigkeit. Das ist der beste Weg, um langfristig zu sparen.
Trotzdem fordert der Arbeitgeberverband, sechs Millarden Euro in der Arbeitsmarktpolitik zu kürzen. Ist das vorstellbar?
Diese Forderung ist nicht neu. Sie wird von den Arbeitgebern regelmäßig wiederholt. Aber wenn die Regierung dies tatsächlich umsetzen sollte, würde das Millionen Arbeitsuchenden die Zukunft verbauen.
Warum?
Der Eingliederungstitel im Bundeshaushalt beträgt ungefähr elf Milliarden Euro. Dazu gehören auch die Kosten für die Arbeitsvermittler. Wenn man davon z.B. drei Milliarden sparte, wäre die aktive Arbeitsmarktpolitik fast unmöglich. Es würden bedeuten, dass die meisten Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose abgeschafft werden. Und das konterkarierte die Bürgerarbeit, die die Ministerin gerade erst angekündigt hat, auch wenn das keine große Neuigkeit ist. Das Projekt erinnert sehr an den alten Kommunal-Kombi, ein Bundesprogramm zur Schaffung zusätzlicher sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose.
Die Ministerin will nur "unwirksame" Fördermaßnahmen streichen
Das ist zunächst mal eine inhaltsleere Aussage. Sie sagt ja nicht welche. Zu Zeiten der großen Koalition haben wir dies zudem schon getan. Wir haben alle Arbeitsmarktinstrumente überprüft.
Was halten Sie vom Vorschlag des Verteidigungsministers, die Wehrpflicht auszusetzen und zu sparen?
Ich kenne den konkreten Vorschlag des Ministers nicht. Aber die Position der SPD ist klar: Solange es genügend interessierte junge Männer für den Wehrdienst gibt, sollten wir die Wehrpflicht beibehalten. Aber wir müssen dann auch nur die heranziehen, die ihn leisten wollen. Man darf nicht vergessen, dass eine Aussetzung der Wehrpflicht letztlich die Abschaffung bedeutete. Man kann dies nicht rückgängig machen, ohne dass die Wiedereinsetzung wie ein ernster Krisenfall wirkte.
Kann man damit sparen?
Es ist ein seltsamer Ansatz. Über eine derart grundlegende Frage wie der strategischen Neuausrichtung der Bundeswehr darf man nicht bei einer Haushaltsklausur entscheiden. Und über die Zukunft der Bundeswehr sollte ein Konsens über die Regierungsparteien hinaus gesucht werden.
Interview: Gabi Stief