Interview mit der Rheinischen Post
Sie hatten noch vor Jahresfrist verkündet, Vollbeschäftigung sei möglich. Jetzt drohen fünf Millionen Arbeitslose im Herbst.
Scholz: Ich halte nichts von einem Wettlauf der Horrormeldungen. Und solche Zahlen sind nicht plausibel. Aber: Niemand kann derzeit seriöse Prognosen abgeben.
Trotzdem: Ist die von der Bundesregierung erwartete Zahl von 3,6 Millionen Arbeitslosen noch zu halten?
Vermutlich nicht ganz. Wir wissen nicht, wie sich die Wirtschaftskrise entwickeln wird. Aber wir wissen, wie sie zustande gekommen ist. Da sind einige Finanzakteure unakzeptable Risiken eingegangen, um übermäßige Renditen zu erzielen. Und jetzt müssen Millionen von Arbeitnehmern in aller Welt ausbaden, was sie hinterlassen haben.
Gibt es ein Rezept gegen die Massenarbeitslosigkeit im Herbst?
Wir haben die Kurzarbeit massiv ausgeweitet die hilft. Ich freue mich über jede Meldung, dass die Kurzarbeiterzahl steigt. Denn das bedeutet weniger Kündigungen, weniger Arbeitslose.
Reicht das?
Ich glaube, es war eine wichtige und wirksame Maßnahme, das Kurzarbeitergeld von sechs auf 18 Monate auszuweiten. Sollte das nicht genügen, können wir auch auf 24 Monate gehen. Aber derzeit steht das nicht zur Debatte.
Wann wird es wieder besser?
Die Wirtschaft wird sich wieder fangen, unser Konjunkturpaket wirkt fast punktgenau. Spätestens 2010 geht es wieder aufwärts. Vielleicht sind schon in diesem Jahr erste Anzeichen zu spüren.
Die Ausbildungslage könnte sich in der Krise drastisch verschlechtern.
Die aktuellen Meldungen über eine zurückgehende Ausbildungsbereitschaft müssen jeden
alarmieren.
Was muss geschehen?
Wir brauchen eine neue Runde im Ausbildungspakt mit der Wirtschaft. Jetzt müssen sich alle Beteiligten verpflichten, das bisherige Ausbildungsniveau mindestens zu halten, wenn nicht zu erhöhen. Sonst droht ein schlimmer Fachkräftemangel in der Zukunft. Und vor allem geht es um das Schicksal junger Leute. Das darf uns nicht gleichgültig sein.
Wie viele Lehrstellen streben Sie an?
Wir müssen mehr als 600 000 Ausbildungsplätze auch in der Krise schaffen. Dazu müssen die Paktmitglieder bald zusammenkommen.
Die Mitbestimmung wurde immer nach Wirtschaftskrisen ausgeweitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Öl-Krise 1976 ...
... übrigens von einer Regierung aus SPD und FDP...
... und jetzt von der großen Koalition?
Ich finde es gut, wenn Gewerkschaften jetzt die Ausweitung der Mitbestimmung fordern. Das ist der richtige Weg.
Bei Opel haben die Mitarbeiter angekündigt, dass sie sich an einem neuen Unternehmen beteiligen wollen.
Ist das auch ein Weg?
Warum nicht? Wir müssen dafür sorgen, dass wegen der Schwierigkeiten des US-Mutterkonzerns General Motors nicht ein Unternehmen wie Opel verschwindet.
Könnte der Staat zusammen mit den Mitarbeitern Opel retten, bis sich ein Investor findet?
Wenn ein Unternehmen verschwunden ist, kommt es nicht wieder. Ich bin dafür, dass sich der Staat alle Möglichkeiten, von der Bürgschaft bis zur direkten Beteiligung, offenhält, um Opel zu erhalten. Es kann doch sein, dass sich ein industrieller Investor nicht schnell genug findet. Wenn der Staat befristet bei Opel einsteigt und später wieder an einen Investor verkauft, wäre das auch eine gute Lösung.
Die Kanzlerin und die Unions-Bundestagsfraktion hat die von Ihnen ausgehandelte Neuregelung bei den Jobcentern gekippt. Sind Sie sauer?
Dass sich 16 Ministerpräsidenten und die Bundesregierung einig sind und sich dann eine Fraktion querstellt, ist höflich gesagt ungewöhnlich. Da haben sich einige aufgeführt wie der Suppenkasper
Das Interview finden Sie auch auf der Internetseite der Rheinischen Post.