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30.01.2009

"Wir sagen Unternehmen: Entlasst eure Mitarbeiter nicht"

Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

 

Die Arbeitslosenzahlen schnellen hoch. Bleiben wir unter der Vier-Millionen-Grenze?

Die Aussichten haben sich verschlechtert, aber von Schwarzmalerei halte ich nichts. Nach unserer Schätzung wird die Arbeitslosigkeit im Jahresschnitt um 250.000 zunehmen und unter vier Millionen bleiben.

Geht der Arbeitsverwaltung das Geld aus?

Nein. Keiner weiß, wie lange die Krise dauert und wie heftig sie wird. Aber wir sind in der Lage, lange durchzuhalten. Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit in den letzten Jahren Rücklagen von 16 Milliarden Euro bilden können. Das Geld setzen wir ein, um Arbeitsplätze zu sichern. Wir sagen den Unternehmen: Entlasst eure Mitarbeiter nicht, haltet an ihnen fest. Wir helfen euch.

Wie lange reicht das Geld?


Wir gehen davon aus, dass die Rücklagen für die absehbare Dauer der Krise reichen. Sollte es gegen Ende nächsten Jahres so weit sein, dass die Mittel verbraucht sind, wird der Bundeshaushalt einspringen, damit wir nicht mitten in einer Wirtschaftskrise die Beiträge anheben müssen.

Metallchef Kannegiesser fordert die Übernahme aller Sozialbeiträge bei Kurzarbeit durch den Staat. Kommt das noch?

Nein. Ich bin irritiert. Wir haben mit allen Verbänden gesprochen und ihren damaligen Forderungen entsprochen. Deutschland ist Vorreiter bei der Kurzarbeit. Wir haben im Dezember die maximale Bezugsdauer auf 18 Monate verlängert und beschließen jetzt, dass die Sozialbeiträge zur Hälfte übernommen werden. Das ist für Beitragszahler und Unternehmen günstiger.

Ist das Konjunkturpaket II die letzte Patrone im Kampf gegen die Krise? Was ist, wenn der harte Schlag noch kommt?

Wir machen jetzt alles, was vernünftig ist. Das führt zu einem Maßnahmepaket von 50 Milliarden, mit dem ersten Paket also 80 Milliarden Euro. Das ist das ehrgeizigste Programm in Europa, das wirkt auch. Wir brauchen kein drittes Paket.

Sie sagen: Sie wissen nicht, was kommt, und wollen dennoch letzte Antworten geben?

Düstere Spekulationen helfen nicht weiter. Nur mit Zuversicht wird investiert und gekauft. Nur so finden wir aus der Krise. Deswegen haben wir uns zu einer massiven Intervention des Staates entschlossen und eine hohe Neuverschuldung in Kauf genommen. Aber mehr geht nicht. Als Sozialminister bin ich Anhänger einer strikten Haushaltsdisziplin. Wenn das Geld ausgegeben wird, sind alle dabei. Wenn es eingesammelt wird, schauen alle auf die Kleinen. Da werden wir Sozialdemokraten genug zu tun haben, um das zu verhindern.

Nach einer scharfen Krise wird die Wirtschaft anders aussehen als vor der Krise. Kurzarbeit aber konserviert Strukturen.

Dass sich in der Konjunkturkrise strukturelle Probleme offenbaren, ist klar. Kurzarbeit ist keine Lösung für Firmen, die dauerhafte Marktprobleme haben. Deshalb ist es übrigens richtig, Unternehmen an den Kosten der Kurzarbeit zu beteiligen. Wir bleiben zusammen, sollte die Botschaft guter Firmen an ihre Mitarbeiter sein. Die politische Botschaft lautet: mit Sozialpartnerschaft durch die Krise.

Die Angst um den Job kommt wieder. Ist die Ausweitung der Mindestlöhne auf zehn Branchen die richtige Antwort darauf?

Deutschland ist es durch die Kraft der Sozialpartner lange erspart geblieben, dass Arbeitnehmer nicht von ihrer Arbeit leben können. Weil das nicht mehr so ist, muss der demokratische Staat Arbeitnehmer vor schlimmster Ausbeutung schützen. Daran ändert die Krise nichts. Wir gehen davon aus, dass es im Bereich der vier Millionen neu geschützter Arbeitsverhältnisse einige Hunderttausend gibt, die nun mehr verdienen. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, welche Hürden zu überwinden waren. Bei der Union stand das Gegenteil im Wahlprogramm. Und die Vereinbarung lautet, dass wir im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Lohnuntergrenze festsetzen. Das gelingt auch noch.

Die Hartz-IV-Gesetze beschäftigen mit 178.000 Klagen die Gerichte. War die Reform nur gut gemeint, aber nicht gut gemacht?

Wir haben uns bei der Reform für das Prinzip der Bedarfsdeckung entschieden. Streit über die Höhe der Leistung ist damit vorprogrammiert. Wenn man hingegen alle Bürger über einen Kamm scherte, gäbe es weniger Klagen, aber sehr viele Empfänger der Grundsicherung für Arbeitslose hätten dann auch weniger als heute. Vereinfachung heißt Leistungskürzung, und die will ich nicht.

Wenn die Hälfte der Klagen Erfolg hat, läuft doch in der Praxis etwas schief?

Leider vergeht viel Zeit, bis ein neues System funktioniert, doch wir kommen Stück für Stück voran.

Die Regelsätze für Kinder reichen oft nicht aus, um Teilnahme an Sport und Klassenreisen zu ermöglichen. Das Bundessozialgericht hält sie für verfassungswidrig.

Wir haben das Bundesamt für Statistik gebeten, eine Analyse des Bedarfs von Kindern vorzunehmen. Dabei kam heraus, dass die Leistungen für die Sechs- bis 13-Jährigen zu gering sind. Die SPD hat deshalb vorgeschlagen, diese Regelsätze um 35 Euro anzuheben. Das wird jetzt im Konjunkturpaket auch gemacht. Wir haben damit die Anforderungen des Bundessozialgerichtes vorweggenommen.

Nun gibt es ein Schulpaket für Kinder von Hartz-IV-Empfängern bis zum 10. Schuljahr, nicht aber für die Oberstufe im Gymnasium. Soll man glauben, Kinder von Hartz-IV-Empfängern hätten dort nichts zu suchen?

Wenn der Eindruck entsteht, kann ich dem nur schwer entgegentreten. Wir haben uns seit über einem Jahr für eine solche Hilfe zum Schuljahresstart ausgesprochen. Die SPD hätte sich Hilfen für alle Schulkinder gewünscht. Wir haben das Schulpaket nur mit dieser Begrenzung bekommen, weil die Union nicht weitergehen wollte. Immerhin ein Teilerfolg.

Zum Wahljahr: Die SPD stellt drei der vier beliebtesten Politiker in Deutschland, verharrt aber in Umfragen im unteren Zwanzigerbereich. Verwundert Sie das?

Für uns geht es voran. Die Lage, in der sich die SPD befunden hat, nützt der Union in den Meinungsumfragen nichts. Es gibt aber viele Bürger, die eine Wahl der SPD erwägen. Ich bin sicher: Wir können es wie 2005 schaffen, diese Wähler zu überzeugen und rechtzeitig zur Wahl mit der Union gleichzuziehen. Und zum Ende der Kampagne wollen wir überholen.

Wo ist die SPD in einem besseren Zustand, in Hessen oder Hamburg?

Der Zustand in den Ländern wird besser. Die SPD geht geschlossen ins Wahljahr. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Die FDP steht für Steuersenkungen trotz hoher Staatsverschuldung, Merkels CDU für Pragmatismus, die Linke für die Flucht aus der Globalisierung: Wofür steht die SPD?

In drei Kernpunkten unterscheidet sich die SPD von links und von rechts. Wer sich anstrengt, soll etwas davon haben. Das hat zu tun mit ordentlichen Löhnen. Wer sich Mühe gibt, darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Das hat zu tun mit der Durchlässigkeit des Bildungssystems, mit dem Recht auf einen Schulabschluss, das ich letztes Jahr durchgesetzt habe. Niemand darf am Wegesrand zurückbleiben. Viele Wähler wissen genau: Bei den Funktionären von Union und FDP gibt es Mehrheiten, die in großer Distanz zu den sozialstaatlichen Traditionen unseres Landes stehen. Eine schwarz-gelbe Regierung in diesem Jahr wäre eine Katastrophe für die soziale Demokratie.

Interview: Michael M. Grüter und Reinhard Urschel