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11.09.2009

Wirtschaftskrise: Wie können die Folgen für den Arbeitsmarkt abgefedert werden?

Wir leben in ungewöhnlich problematischen Zeiten. Die Schockwellen, die von den Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten ausgehen, haben weltweit zur schwersten Wirtschaftskrise seit 1929 geführt. Deutschland, das 40 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Außenwirtschaftsbeziehungen generiert, ist von dieser Rezession zwangsläufig besonders stark betroffen. Vor allem die exportorientierten Unternehmen bekommen den dramatischen wirtschaftlichen Abschwung zu spüren. Ihre Auftragsbücher bleiben leer, fest eingeplante Order werden storniert. Wo vor einem Jahr Sonderschichten gefahren wurden, stehen seit dem Winter ganze Betriebsteile still.

In ihrer Frühjahrsprojektion hat die Bundesregierung für 2009 einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts in Höhe von minus 6,0 Prozent im Jahresdurchschnitt vorausgesagt. Dazu wurde ein Anstieg der Arbeitslosigkeit im laufenden Jahr um etwa 450.000 auf einen jahresdurchschnittlichen Stand von rund 3,7 Millionen Personen prognostiziert. Obwohl derzeit erste Anzeichen auf ein Ende der wirtschaftlichen Talfahrt hindeuten, gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Vor uns liegen noch viele schwierige Wochen und Monate.

In dieser Situation haben wir in Deutschland etwas geschafft, das in dieser Krise weltweit beinahe einzigartig ist: Bei uns folgt der Arbeitsmarkt nicht ungebrochen der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung. Obwohl Deutschland neben Irland in Europa den stärksten Einbruch des Wirtschaftswachstums verkraften musste (minus 6,9 Prozent im ersten Quartal), weist es bei der Arbeitslosigkeit im Vorjahresvergleich den niedrigsten Zuwachs aller EU-Länder auf (plus 4,6 Prozent im Mai 2009).

Ein Blick auf die Zahlen unserer europäischen Nachbarn und der USA macht deutlich, warum im Ausland vielfach vom deutschen Wunder gesprochen wird: In Frankreich zum Beispiel lag die Veränderung der Arbeitslosigkeit im Mai 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat bei plus 23,5 Prozent, in Österreich bei plus 20,4 Prozent, in Spanien bei plus 83,4 Prozent und in den USA bei plus 70,6 Prozent [Eurostat-Daten nach ILO-Konzept].

Das zeigt: Es ist uns in Deutschland gelungen, die Folgen der Wirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt besser abzufedern als unseren Nachbarn. Das ist aber kein Wunder, wie manche meinen, sondern zunächst und vor allem auf Elemente und Strukturen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung zurückzuführen, die in vielen anderen Ländern weniger stark ausgeprägt sind oder sogar ganz fehlen. So ist in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft nicht zuletzt durch den gesetzlichen Kündigungsschutz auf Beschäftigungssicherung ausgerichtet.

Hervorragend bewährt sich in diesen Zeiten die Sozialpartnerschaft auch als starker ökonomischer Faktor. Sie ist der verlässliche institutionelle Rahmen, der Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, Unternehmen und Betriebsräten die Möglichkeit gibt, Beschäftigung sichernde Vereinbarungen (inklusive Arbeitszeitverkürzung, Gehaltsverzicht etc.) zu treffen, die anderswo undenkbar sind. Genutzt werden können dabei arbeitsmarktpolitische Instrumente wie zum Beispiel Langzeitarbeitskonten und künftig auch die Mitarbeiterkapitalbeteiligung, die in anderen Ländern nicht zur Verfügung stehen und die nun in Europa und in der Welt mit Interesse zur Kenntnis genommen werden.

In einer auf dualer Ausbildung und Facharbeit basierenden Wirtschaftsstruktur sind die Unternehmen so in der Lage, die Kosten, die durch Entlassungen entstehen, genauso zuverlässig zu kalkulieren wie die Einsparungen, die mit diesen Beschäftigung sichernden Vereinbarungen verbunden sind. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben uns nun gezeigt, dass nach dem Abwägen beider Kalkulationen das Pendel in den weitaus meisten zu Gunsten der Beschäftigungssicherung ausschlägt.

Der mit Abstand wichtigste Grund dafür ist die Kurzarbeit. Sie ist das Herzstück der aktuellen Arbeitsmarktpolitik in Deutschland, das in Großkonzernen genauso genutzt wird wie von Handwerkern oder Kreativagenturen. Wir haben die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes zunächst auf 18 Monate ausgeweitet, die Beantragung erleichtert und die Förderung deutlich attraktiver gestaltet. Es war wichtig, schnell zu entscheiden und den Unternehmen bereits am Beginn der wirtschaftlichen Talfahrt ein Instrument an die Hand zu geben, das ihnen ermöglicht, an ihren Fachkräften festzuhalten.

Viele Unternehmen haben inzwischen verstanden, dass sie der Fachkräftemangel schon in den kommenden Jahren mit unerbittlicher Härte treffen wird. Deshalb heißt unsere Devise: Qualifizieren statt Entlassen. Deshalb haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und mit dem verbesserten Kurzarbeitergeld die realistische Chance eröffnet, diese Krise nicht nur zu bewältigen, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen.

Unser Angebot ist attraktiv für Unternehmen und Betriebe aller Größen. Es lautet: Nutzt die Zeit der Kurzarbeit zur Qualifizierung, wir fördern das massiv mit passenden Maßnahmen für gering qualifizierte Beschäftigte einerseits und qualifizierte Beschäftigte andererseits. Wer qualifiziert, bekommt vom ersten Tag an die Sozialversicherungsbeiträge für die ausgefallene Arbeitszeit voll erstattet. Außerdem geben wir aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds zusätzliches Geld. Wir haben das Programm zur Förderung der Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen (WeGebAU) so erweitert, dass alle davon profitieren können. Mit jeder Weiterbildung haben wir die Chance, als Volkswirtschaft in dieser Krise klüger und qualifizierter zu werden. Unsere Programme helfen nicht nur dem und der Einzelnen, sondern auch dem gesamten Land. Und inzwischen nehmen mehrere 10.000 Beschäftigte an entsprechenden Maßnahmen teil.

Die zunächst beschlossenen Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld haben geholfen, mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben aber nach wie vor schwierige Monate am Arbeitsmarkt vor uns. Mit Wirkung zum 1. Juli 2009 habe ich deshalb in Absprache mit den Sozialpartnern zusammengefasst im Paket Kurzarbeitergeld plus weitere Verbesserungen beschlossen, die den Unternehmen und Betrieben zusätzliche Unterstützung geben. Wichtigster Punkt: Die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes wurde noch einmal auf jetzt 24 Monate verlängert. Dazu kommt unter anderem: Wenn in einem Unternehmen bereits sechs Monate Kurzarbeit geleistet worden sind, wird der Betrieb danach für die ausgefallene Arbeitszeit vollständig von den Beiträgen zur Sozialversicherung entlastet. Bei der Berechnung des Sechs-Monats-Zeitraums werden auch Zeiträume vor Inkrafttreten des Kurzarbeitergeldes plus berücksichtigt.

Sicher ist: Das Instrument wirkt. Genaue Zahlen zur Kurzarbeit liegen allerdings nur mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung vor. Im März 2009 haben 36.000 Betriebe mit etwa 1,1 Millionen Beschäftigten bei einem durchschnittlichen Arbeitsausfall von 33 Prozent Konjunkturkurzarbeitergeld in Anspruch genommen. Nach vorläufigen statistischen Ergebnissen der Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kurzarbeitergeld beziehen, im Juni 2009 bei 1,43 Millionen, nach 1,46 Millionen im Mai und 1,36 Millionen im April. Umgerechnet auf den Arbeitsausfall bedeutet dies, dass bis zu 400.000 Beschäftigte vor Entlassung bewahrt werden konnten. Beide Zahlen signalisieren, dass es bislang gerade auch durch den offensiven Einsatz von Konjunkturkurzarbeitergeld im Konzert mit vielen anderen Maßnahmen gelungen ist, die Folgen der Wirtschaftskrise für den Arbeitsmarkt abzufedern.

 
Denn damit keine Missverständnisse auftreten: Selbstverständlich werden die anderen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiterhin auf hohem Niveau eingesetzt und tragen ebenfalls zur Bewältigung der Krise bei. Und noch einmal gilt es zu betonen: Die massiven Anstrengungen, mit der Kurzarbeit gegen die Krise anzukommen, funktionieren nur, weil wir Mitbestimmung, Tarifautonomie und Arbeitnehmerrechte in Deutschland haben. Die Sozialpartnerschaft ist die Grundlage. Auch aus ökonomischen Gründen ist es also sinnvoll, diese Errungenschaften zu verteidigen.

Kurzarbeit ist kein neues arbeitsmarktpolitisches Instrument. In ihrem Kern ist sie etwa so alt wie die Arbeitslosenversicherung. Es gibt in etwa zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union Regelungen, die vergleichbare Ziele verfolgen wie das Kurzarbeitergeld in Deutschland. Im Zentrum der gegenwärtigen Aktivitäten steht dabei das Konjunktur¬kurzarbeitergeld, das sich vom Transferkurzarbeitergeld ebenso unterscheidet wie vom Saisonkurzarbeitergeld.

Kurzarbeit ist ein Beschäftigung sicherndes Instrument, das man spätestens in der gegenwärtigen Krise hätte erfinden müssen, wenn es nicht schon existierte. Als Element moderner Arbeitszeitpolitik und Beschäftigungsbrücke in einer Phase vorübergehender Arbeitsausfälle hilft es den Unternehmen, Entlassungen zu vermeiden und Fachkräfte in den Betrieben zu halten, die diese nach der Krise dringend benötigen, um möglichst schnell wieder Wachstum und Beschäftigung zu schaffen. Der Einsatz von Kurzarbeit erweist sich bei all dem nicht nur als ein unmittelbar wirksames, sondern auch als ein vergleichsweise kostengünstiges arbeitsmarktpolitisches Instrument.

Als schnelle Hilfe für Unternehmen und Beschäftigte impliziert Kurzarbeit zudem eine Art von Interessenausgleich: Während die Beschäftigten auf einen Teil ihres Einkommens verzichten, verbleiben bei den Unternehmen Remanenzkosten. Auf diese Weise werden auch Mitnahmeeffekte begrenzt.

Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich, dass der Einsatz von Kurzarbeit den sozialpartnerschaftlichen Dialog im Unternehmen fördert. Vor allem in größeren Unternehmen wird über den Einsatz dieses Instruments in der Regel nur mit Beteiligung des Betriebsrates entschieden. Dabei ist davon auszugehen, dass die intensive Diskussion auch über unternehmerische Weichenstellungen zur verbesserten Auslastung von Produktionskapazitäten beiträgt. Kurzarbeit ist damit im besten Sinne präventive Arbeitsmarktpolitik, die Chancen für die Gestaltung guter Arbeit eröffnet und die Bewältigung von Auswirkungen der Krise zu einer gemeinsamen Aufgabe von Unternehmensleitungen und Beschäftigten machen kann.

Von den Folgen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sind nicht alle Wirtschaftsbereiche gleichermaßen betroffen. Auch das spricht für den Einsatz der Kurzarbeit und erklärt zu einem guten Teil den Erfolg dieses Instruments. Während von einer allgemeinen Konjunkturschwäche nahezu alle Branchen in ähnlicher Intensität erfasst werden, sind von den aktuellen Auftragseinbrüchen bestimmte Branchen vorrangig des verarbeitenden und produzierenden Gewerbes betroffen, hier insbesondere die Metallindustrie, der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die Elektroindustrie.

Im Brennpunkt steht also der international absolut wettbewerbsfähige industrielle Kern unserer Volkswirtschaft. Das gelegentlich vorgebrachte Argument, der Einsatz der Kurzarbeit verhindere oder verzögere notwendige strukturelle Anpassungen, greift hier in keinem Fall. Im Gegenteil: Die genannten Branchen sind gekennzeichnet durch eine überdurchschnittlich hohe Produktivität und Wertschöpfung, sehr qualifizierte Arbeitskräfte, ein hohes Lohnniveau bei niedrigen Lohnstückkosten sowie ein ausgeprägtes und auch international anerkanntes Know-how. Dies korrespondiert mit bisher vergleichsweise niedriger Arbeitslosigkeit und einem Bedarf an bestimmten Fachkräften. In diesen Branchen gibt es auch heute noch einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und starke betriebliche Interessenvertretungen.

Das alles sind hervorragende Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung auf der Ebene des einzelnen Betriebes, des Unternehmens, der Branche und der gesamten Volkswirtschaft. Vor diesem Hintergrund sind die Neuregelungen zur Kurzarbeit die richtige Antwort auf die Krise. Darin sind sich Regierung, Gesetzgeber, Arbeitgeber und Gewerkschaften einig. Der Einsatz dieses Instruments zeigt für mich exemplarisch, wie wir mit der Krise insgesamt umgehen müssen. Es geht nicht um ideologische Debatten oder Grundsätzlichkeiten. Wir brauchen einen Pragmatismus, der Probleme erkennt, anpackt und löst. Dabei setze ich auf das Know-how der Unternehmer genauso wie auf kompetente Betriebsräte.

Für das Unternehmen gilt auf der einen Seite: Kurzarbeit reduziert die Personalkosten zwar erheblich, umsonst aber ist sie nicht. Betriebe und Unternehmen, die davon ausgehen, sich von ihren Beschäftigten trennen zu müssen, werden Entlassungen nicht vermeiden können. Auf der anderen Seite gilt: Bei Entlassungen geht betriebsspezifisches Erfahrungswissen verloren und unter Umständen wandert es ab zur Konkurrenz. Bei Massenentlassungen fallen in der Regel auch Sozialplankosten an. Aber auch der Wiederaufbau der Belegschaft ist mit Kosten für die Suche, Auswahl, Einstellung und Einarbeitung neuer Arbeitskräfte verbunden.

Den Beschäftigten signalisiert Kurzarbeit, dass der Arbeitsplatz in Gefahr ist und Lohneinbußen für einen bestimmten Zeitraum unvermeidlich sind. Kurzarbeit ist aber auch ein Zeichen dafür, dass der Arbeitgeber an seinen bewährten Arbeitskräften festhalten möchte und Chancen sieht, die Absatzkrise zu überwinden. Das ist sinnvoll auch mit Blick auf die eigentliche Herausforderung, vor der wir in den kommenden beiden Jahrzehnten stehen: Überall werden qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen. Die Unternehmen sind gegenwärtig dabei zu lernen, dass es oft wirtschaftlich von Vorteil ist, qualifizierte und erfahrene Kräfte über eine krisenbedingte Durststrecke hinweg im Unternehmen zu halten.

Volkswirtschaftlich betrachtet trägt der Einsatz der Kurzarbeit außerdem erheblich zur Stabilisierung der Binnenwirtschaft bei. Er verhindert Massenentlassungen und bannt kollektive Ängste vor Jobverlust, die mit negativen Auswirkungen auf die Kaufkraft und das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger verbunden wären.

Intelligente Arbeitsmarktpolitik weiß um diese Wirkungszusammenhänge und nutzt dieses Wissen bei der Weiterentwicklung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. Genau das haben wir mit Augenmaß und zeitlich strikt befristet getan. Die neuen Regelungen für das Konjunkturkurzarbeitergeld gelten bis zum Ende des Jahres 2010. Spätestens dann erwartet die Bundesregierung nach ihren bisherigen Prognosen eine spürbare Aufwärtsentwicklung.

Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Aber die Zwischenbilanz ist eindeutig: Ja, die Folgen dieser Wirtschaftskrise für den Arbeitmarkt konnten bisher erfolgreich abgemildert werden. Dazu hat der policy-mix der beiden Konjunkturprogramme insgesamt beigetragen, in besonderem Maße aber das Instrument der Konjunkturkurzarbeit, eingebettet in verlässliche sozialpartnerschaftliche Arrangements.

Der gemeinsame Einsatz für Arbeit von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften wirkt und verhindert Schlimmeres. Das zeigt: Wir können mit Sozialpartnerschaft durch die Krise kommen und die schlechten Prognosen schlagen. Dafür müssen wir weiterhin alles daran setzen, den Unternehmen zu helfen und Arbeitsplätze zu erhalten.

 

Beitrag von Olaf Scholz, erschienen im ifo Schnelldienst (17/2009), S.  3-6.