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13.04.2013

WiWo-Interview: Über 30 Prozent reichen für Regierungswechsel


WirtschaftsWoche: Herr Scholz, wann hat Peer Steinbrück Sie zuletzt angerufen und um Rat gefragt?

Scholz: Peer Steinbrück und ich sprechen häufig miteinander, wir verstehen uns mit unserer Hamburger Mentalität auch gut. Und worüber wir reden, bleibt vertraulich.

 

Regierungschef und beliebt beim Bürger der Kanzlerkandidat könnte doch viel von Ihnen lernen.

Als Hanseat weiß er, dass wir keine Belehrungen abgeben, weil das nicht unsere Art ist. Was bei uns funktioniert, ist offensichtlich: Wir kümmern uns darum, dass die Wirtschaft gut läuft und dass der soziale Zusammenhalt besser funktioniert als früher. Dafür wird auch Peer Steinbrück als Kanzler stehen.

 

Wer ist denn dann schuld an der Misere: der Kandidat oder das Programm?

Ich denke immer nach vorn. Wir können unser Wahlziel erreichen. Ich halte es für realistisch, dass die SPD über 30 Prozent kommt. Dann reicht es auch gemeinsam mit den Grünen für den Regierungswechsel.

 

Die Wähler fühlen sich aber offenbar von Angela Merkel unaufgeregt und anständig durch diese Krise regiert. Es gibt alles, nur keine Wechselstimmung.

Es geht nicht um Wechselstimmung, sondern ob ein Wechsel zustande kommt. Die Wahl in Niedersachsen hat doch gezeigt, dass es geht. Wenn wir so gut sind wie Stephan Weil, dann klappt’s auch im September.

 

Aber die gegenwärtige Stärke der Regierung ist doch ein Armutszeugnis für die Opposition.

Wir haben mit der Eurokrise eine schwierige Zeit. Die Bundesregierung hat nicht immer das richtige gewollt und nicht gleich alles richtig gemacht, aber am Ende doch das Richtige getan. Deshalb hat die SPD ja auch keine Fundamentalopposition gespielt. In dieser Frage ging und geht es um unser Land. In solchen Zeiten will man Klarheit und deshalb ist eine wichtige Botschaft: Mit Peer Steinbrück haben wir einen Kandidaten, der gezeigt hat, das er Krisenmanagement kann. Auch in schweren Zeiten ist man bei ihm gut aufgehoben.

 

Die SPD stimmt bei der Euro-Rettung stets mit der Regierung. Wie wollen sie sich da als Alternative präsentieren?

Die Bürger wollen vor allem wissen, wem sie Verantwortung in schwieriger Zeit übertragen können. Dass die SPD sich in dieser Krise staatspolitisch verantwortlich zeigt, ist sehr positiv. Es geht nicht um einen kurzfristigen Geländegewinn. Die Eurokrise ist kein Grund, die Kanzlerin wieder zu wählen. Den Umgang mit der Eurokrise beherrscht Peer Steinbrück auch.

 

Wünschen Sie sich denn insgesamt mehr Kampfgeist von Ihrer Partei?

Ich sehe überall in der Partei den Willen, sich für einen Regierungswechsel ins Zeug zu legen. Die neuen Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der SPD sind da natürlich ein Pfund. Sie zeigen, dass es eine Alternative gibt.

 

Die da wäre?

Die Bundesregierung versagt auf dem zentralen Feld: der Energiewende. Etwa 70 Prozent des Stroms verwenden wir für Wirtschaft und Industrie. Ob es uns gelingt, genügend bezahlbare erneuerbare Energie zu produzieren, den Netzausbau voranzutreiben bis zum Ende des Jahrzehnts diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung. Da hängt die Regierung extrem zurück und das ist ein Problem für das Industrieland Deutschland. Bei der Energiewende darf es kein Scheitern geben.

 

Woran hakt es konkret?

Um den Netzausbau muss man sich wirklich jeden Tag intensiv kümmern. Mein Gefühl ist, dass die heute Regierenden es schon als Erfolg werten, wenn sie eine Verständigung zwischen fünf Verantwortlichen zustande gebracht haben. Aber es muss viel mehr passieren.

 

Muss der Staat sich am Netzausbau finanziell beteiligen?

Das ist nicht erforderlich. Aber er muss dafür sorgen, dass die Planungsverfahren schneller vorankommen und die Betreiber ihre Verpflichtungen auch erfüllen. Im Zweifelsfall müssen neue finanzkräftige Partner einsteigen.

 

Gibt es zu viele Befreiungen von der EEG-Umlage?

Viele dieser Befreiungen haben Sinn. Für große energieintensive Unternehmen hat das eine immense Bedeutung nehmen sie nur die Produktion von Kupfer und Aluminium hier in Hamburg. Diese Industrien sollen in Deutschland bleiben. Dafür muss bezahlbarer Strom zur Verfügung stehen.

 

Gilt das Wettbewerbsargument auch für EEG-befreite Nahverkehrsunternehmen?

Ich will kein Hütchenspiel anfangen. Aber wo Unternehmen nicht in globaler Konkurrenz stehen, ist es sehr wohl berechtigt, bestehende Befreiungen zu überprüfen. Korrekturen sind möglich, wo sie vernünftig sind.

 

Neue Belastungen verspricht die SPD besonders in der Steuerpolitik. Warum verknüpfen sie das Kassieren bei Wohlhabenden nicht mit Entlastungen der Mitte?

Die Bürger sind vernünftiger, als Politiker und Journalisten manchmal denken. Sie wissen, dass die Konsolidierung der Haushalte die wichtigste politische Aufgabe dieses Jahrzehnts sein wird. Steuersenkungsversprechen sind wirklich unseriös.

 

Aber die Abschaffung der kalten Progression könnte doch beste sozialdemokratische Politik sein. Sie belastet die kleinen und mittleren Einkommen und bestraft Lohnerhöhungen.

Die meisten Länder haben noch keine ausgeglichenen Haushalte und machen Schulden. Das gilt auch für den Bund. Keiner weiß, welche Sparanstrengungen noch auf die Etats zukommen.

 

Also keine Unterstützung aus Hamburg für den rheinland-pfälzischen SPD-Finanzminister Carsten Kühl?

Wir müssen zuallererst mit der Schuldenmacherei aufhören. Wenn wir das erreicht haben, können wir sehen, was möglich ist. Aber das ist nicht morgen soweit, das wird noch Jahre dauern.

 

War die Steuersenkungspolitik von Gerhard Schröder also falsch?

Nein. Wir haben damals geringere Einkommen entlastet und die Unternehmensbesteuerung wettbewerbsfähiger gemacht. Um dafür Mehrheiten zu bekommen, mussten wir den Spitzensteuersatz weiter senken, als Rot-Grün das wollte. Das war kein billiger Preis. Aber die Lage ist heute eine ganz andere. Wir haben uns nun verfassungsmäßig verpflichtet, mit dem Schuldenmachen aufzuhören. Die Akzeptanz steigt, breite Schultern etwas mehr tragen zu lassen.

 

Auch mit einer Vermögensteuer?

Achtzig Prozent der Bürger stimmen in Umfragen dafür. Der Bürgerwille setzt sich meistens durch, auch wenn manche das nicht glauben wollen.

 

Reich sind ja auch nur die anderen.

Die Vermögensteuer existiert in vielen Ländern, die eine viel geringer ausgeprägte Sozialstaatstradition haben als wir. Und aus den klaren Aussagen des Kanzlerkandidaten, Mittelständler nicht in ihrer Substanz zu gefährden, können Sie ersehen, dass wir die Einführung vernünftig gestalten wollen.

 

Sie selbst haben sich in einem anderen Feld sehr stark profiliert und damit ihre Wahl gewonnen: in der Wohnungspolitik.

Viele attraktive Städte wachsen und brauchen mehr Wohnraum. Das geht nur mit Neubau, der bezahlbar bleiben muss. Dafür dürfen Städte ihre Grundstücke nicht zu Höchstpreisen abgeben und sie müssen auch selber Wohnraum fördern. Außerdem müssen wir sicherstellen, dass der gegenwärtige Mangel nicht zu außerordentlichen Preissteigerungen missbraucht wird.

 

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass eine Mietpreisdeckelung nicht genau die Neubaudynamik abriegelt, die endlich für Entlastung sorgt?

Gute Frage. Unsere Antwort ist deshalb sehr klar: Wir wollen Investitionen in den Neubau. Wir wollen bei Bestandsmieten weiter Steigerungen zulassen, aber keine außerordentlichen. Wir wollen auch bei Weitervermietungen Steigerungen zulassen, aber wieder keine außerordentlichen. Und bei Neubauten werden wir sicherstellen, dass die zur Finanzierung nötigen Preise auch erzielt werden können. Günstige Preise dort müssen wir mit öffentlicher Förderung erreichen, nicht per Mietrecht. Neubau muss attraktiv bleiben.

 

Hamburg hat allein 2012 rund 100 Millionen Euro für soziale Wohnraumförderung ausgeben. Könnten Sie Ihre Absichten nicht über mehr Wohngeld oder den Kauf von Belegungsbindungen günstiger und gezielter erreichen?

Es geht uns vor allem um forcierten Neubau. In Hamburg alleine sollen es zukünftig 6000 Wohnungen pro Jahr sein. Und wo immer die Stadt eigene Baugrundstücke abgibt, stellen wir sicher, dass ein Drittel der neuen Wohnungen gefördert wird auch in attraktiven Lagen. Wir wollen keine nach Einkommensgruppen separierte Stadt. Mit Belegungsbindungen im Bestand können sie das nicht erreichen.

 

Soziale Gerechtigkeit soll nach Willen der SPD das Wahlkampfthema werden. Was heißt das für die Rente mit 67?

Wenn es gut geht, arbeiten alle länger als früher, weil wir länger leben. Dieser Einsicht folgen alle. Das muss nur für alle auch gesundheitlich funktionieren. Zudem muss für alle eine realistische Perspektive auf dem Arbeitsmarkt gegeben sein. Deshalb binden wir die Rente mit 67 daran, dass mindestens 50 Prozent der über 60-Jährigen auch einen Job haben. Dafür müssen Unternehmen aber Leute auch mit 58 oder 63 neu einstellen.

 

Aber die Quoten-Bindung bedeutet doch die faktische Aussetzung der Rente mit 67. Heute arbeiten 29 Prozent in dieser Altersgruppe.

Zur Gerechtigkeit gehört, dass sich jeder anstrengt. Dazu gehört aber auch, dass es jedem gelingen kann bis zur Rente fleißig zu sein. Dazu braucht er einen Job.

 

Aber man hat den Eindruck, dass sich der Grundsatz Länger leben, länger arbeiten in der SPD noch nicht durchgesetzt hat.

Falsch. Das sehen wir alle anders. Angesichts des drohenden dramatischen Fachkräftemangels müssen wir alle mobilisieren. Die Älteren genauso wie das Fünftel der Jüngeren, die heute ohne Berufsabschluss bleiben, und besonders auch Frauen. Das passiert aber nicht von selbst, sondern bedarf großer Anstrengungen. Wer die Hände in den Schoss legt, irrt gewaltig.

 

Daraus folgt?

Diese Herausforderungen kann die deutsche Politik ganz alleine lösen: mit mehr Kitaplätzen, besseren Ganztagsschulen, umfangreicheren Bildungsangeboten für Geringqualifizierte zum Beispiel. Dafür brauchen wir nur eine neue Regierung.

 

Und mehr Geld. Warum stecken Sie Milliarden nicht in Bildung statt in Wahlgeschenke wie 850 Euro Solidarrente? Das wäre nachhaltiger.

Wenn wir mehr Geld in Bildung investieren, bleibt der Aufwand für die Solidarrente gering, weil nur wenige auf sie angewiesen sind. Deshalb kann auch niemand sagen, was sie kosten wird.

 

Das Bundesarbeitsministerium taxiert die Solidarrente auf 15 Milliarden Euro. Viel Geld angesichts der Tatsache, dass Altersarmut kein Massenphänomen ist.

Zunächst mal: Diese Rechnungen kann niemand nachvollziehen. Ich halte sie nicht für realistisch. Der Grundgedanke bleibt doch bestechend: Wer Jahrzehnte lang gearbeitet hat, soll im Alter mehr haben als die Grundsicherung. Wer sein Leben lang alles richtig gemacht hat, darf sich am Ende nicht verraten und verkauft fühlen. Lösen müssen wir die Probleme im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehört auch, dass Löhne gezahlt werden, von denen man leben kann.

 

Wer zukünftig den SPD-Mindestlohn von 8,50 Euro bekommt, wird am Ende aber nicht über der Grundsicherung liegen.

Es gibt immer sehr kühne Berechnungen, die vor allem dazu führen sollen, dass wir uns nicht um die Lösung der Probleme kümmern. Wir brauchen einen Schutz nach unten.

 

Haben Sie gar keine Angst, dass der flächendeckende Mindestlohn Jobs kostet?

Alle Erfahrungen sprechen dagegen. Das britische Modell hat bewiesen, dass es nicht so kommt.

 

Die haben viel niedriger angefangen…

Großbritannien ist ein praktisches Beispiel aus einem Industrieland, dass selbst unsere politischen Mitbewerber gut finden. Leider haben sie es nicht eingeführt. Ich nehme deshalb die Bedenken durchaus ernst, aber sie werden aller Voraussicht nach nicht eintreffen.

 

Als Arbeitsminister könnten Sie selbst dafür sorgen. Reizt sie Berlin als Arbeitsplatz wirklich gar nicht mehr?

Nein. Außerdem hat Hamburg in Berlin eine wunderschöne Landesvertretung, die von keinem Ministerium überboten werden kann.

 

Interview mit der Wirtschafts-Woche, Max Haerder