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20.06.2013

ZEIT Interview: "Ich mache Politik, weil ich etwas verändern will."

 

 

DIE ZEIT: Herr Scholz, die ZEIT hat Sie mit einem Begriff geschmäht, den Sie sehr lange nicht loswurden. Wir nannten Sie »Scholzomat«. Wie sehr haben wir Sie verletzt?

Olaf Scholz: Na ja, gefreut habe ich mich darüber jedenfalls nicht.

 

ZEIT: Unser Kollege, der den Begriff erfand, bekam einen Preis für die Wortschöpfung des Jahres. Wir hatten den Ruhm und Sie den Spott.

Scholz: Den hatte ich zweifellos. Aber ich habe mich nie darüber beklagt, und ich werde das auch jetzt nicht tun. 

 

ZEIT: Der »Scholzomat« entstand 2003. Sie waren SPD-Generalsekretär und mussten die umstrittene Agenda-Politik nach außen vertreten. Die Medien warfen Ihnen vor, nur noch in Sprechformeln zu reden. Wie ein Automat, der Politik verkaufe.

Scholz: Ich empfand die Zuschreibung Ihres Kollegen damals als sehr treffend. Es war so. Dass sich die Kritik an der Agenda auch am Generalsekretär und damit an mir festmachen würde, war mir sehr früh klar. Wir hatten harte Einschnitte beschlossen und ich habe gut verstanden, dass das heftige Reaktionen auslöste. Aber in solch einer bedrängten Situation, in der es auch ums Überleben der SPD ging, empfand ich mich wirklich als Offizier, und deswegen ging es nicht um meine eigenen Befindlichkeiten, sondern darum, absolut loyal gegenüber dem Kanzler und der SPD zu sein. Ich wollte nicht mich retten, sondern meine Partei. Und da wollte ich nicht den Ausweg wählen, den andere Politiker nehmen: in Hintergrundgesprächen eine Differenzierung von der offiziellen Linie aufscheinen zu lassen. Das wäre sofort als Illoyalität gedeutet worden. Ich war der Verkäufer der Botschaft. Ich musste eine gewisse Unerbittlichkeit an den Tag legen. Es gab keinen Spielraum.

 

ZEIT: Sie haben dafür einen Preis bezahlt.

Scholz: Ich habe dafür einen Preis bezahlt, über den ich mir aber zu jeder Zeit völlig klar war. Ich konnte nicht sicher sein, ob die ganze Sache am Ende auch für mich gut ausgehen würde. Ob ich mich von all der Kritik wieder erhole. Ich wusste, dass ich für ein, zwei, drei Jahre ein Amt hatte, das wenn man Pech hat jede weitere politische Laufbahn verhindert. Und da habe ich für mich entschieden, dass ich das aushalte. 

 

ZEIT: Hat man Ihnen geraten, gegen den »Scholzomat« vorzugehen?

Scholz: Ja. Aber was hätte das gebracht? An der Grundkonstellation, aus der heraus der Begriff entstanden war, hätte sich ja nichts geändert. Das Schlimmste ist doch, sich irgendwelche Konzepte auszudenken, wie man ein anderes Image bekommen könnte. Das klappt nicht. Ich war Anwalt, und meinen Mandanten habe ich Beleidigungsklagen immer erfolgreich ausgeredet, weil ich fand, man bohrt dann nur in der eigenen Wunde herum. Als Politiker habe ich mich noch nie bei irgendeiner Redaktion wegen so was beschwert.

 

ZEIT: Wir wollen mit Ihnen über Medien reden, Herr Scholz, und darüber, was sie mit der Politik machen. Sie wurden niedergeschrieben und Sie wurden wieder hochgeschrieben...

Scholz: Mein Grundsatz war immer: Don´t complain, don´t explain. Beschwere Dich nicht darüber, was war und erkläre es auch nicht. Das habe ich ohne Ausnahme durchgehalten. Es wird auch keine Memoiren von mir geben, die heißen: Wie es wirklich war. Ich kann Politiker, die darüber heulen, dass das Leben so schwer sei, nicht ausstehen. Und deswegen gefällt es mir auch, dass Peer Steinbrück trotz aller Schwierigkeiten tapfer bleibt.

 

ZEIT: In einem Buch über Medienmacht sagt der CDU-Politiker Christian von Bötticher: »Als Politiker sehen Sie sich vor die Wahl gestellt, entweder Sie erfüllen die Erwartungen der Journalisten oder Sie werden kaputt geschrieben.« Ist das so?

Scholz: Wenn Dinge behauptet werden, die nicht richtig sind, dann muss man bereit sein, sich mit den Medien anzulegen. Dann muss man das aus der Welt schaffen. Aber ansonsten nicht. Ich halte das für einen Nebenkriegsschauplatz. Es mag sein, dass viele Medien es gar nicht ertragen können, selbst kritisiert zu werden. Aber ich finde, dass Politiker sich weniger mit ihrem Bild in den Medien beschäftigen sollten, als damit, selbst authentisch zu bleiben.

 

ZEIT: Zur Authentizität gehört dann aber auch, zu seinem Gesagten zu stehen. Zeitungsinterviews werden in der Regel von dem Interviewten noch einmal gegengelesen. Die taz hat vor Jahren einmal ein Manuskript veröffentlicht, in dem Sie alle Antworten geschwärzt hatten…

Scholz: und am Ende bestand das Interview nur noch aus den Fragen. Ich erinnere mich. Die taz hatte, das war kurz nach meiner ja etwas knapperen Wiederwahl als Generalsekretär auf dem Bochumer Parteitag 2003, gefühlte sieben Mal die Frage variiert: »Wie fühlt man sich als großer Verlierer?« Nun, diese Frage musste ich nur einmal und nicht siebenmal beantworten. Sinngemäß lautet die Antwort: Wird schon wieder. Den Rest habe ich durchgestrichen. Die taz hat also den Gehalt des Interviews vollständig gedruckt.

 

ZEIT: Glauben Sie nicht, dass die Bürger in diesem Moment gern ein wenig mehr vom Menschen Olaf Scholz erfahren hätten?

Scholz: Mag sein, aber ich habe vorhin die Situation geschildert, in der ich mich als Generalsekretär befand. Ich stand unter Beschuss. Ich wollte an diesem Tag kein Interview geben, habe mich dann aber breitschlagen lassen. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler, denn über meine wahren Emotionen konnte ich doch gar nicht reden.

 

ZEIT: Wieso nicht?

Scholz: Ich habe vor dem Parteitag fest damit gerechnet, dass ich abgewählt werde, dass es für mich nicht mehr reicht. Aber das konnte ich vorher ja schlecht sagen. Und hinterher, als ich ganz knapp wiedergewählt worden war, war ich ehrlich gesagt erleichtert und froh. Ich hatte ein miserables Wahlergebnis, aber mir ging es gut. Aber das konnte ich im Interview auch nicht sagen. Und dann habe ich beschlossen, besser gar nichts zu sagen.

 

ZEIT: So wie die Medien Sie damals nach unten geschrieben haben, so schreiben sie Sie heute nach oben. Was sagt das aus?

Scholz: Womöglich, dass die Medien die Grautöne zu wenig schätzen, vieles Schwarz und Weiß zeichnen.

 

ZEIT: War es wichtig, Berlin zu verlassen, um medial anders wahrgenommen zu werden?

Scholz: Nein. Ich möchte mich nicht größer machen, als ich bin, aber: Ich hatte auch in Berlin längst wieder eine gute Presse, bevor ich nach Hamburg ging.

 

ZEIT: Was ist für Sie »eine gute Presse«?

Scholz: Dass ab und zu über meine Arbeit berichtet wird, und nicht nur versucht wird, Haltungsnoten zu vergeben. Ich kenne den Konkurrenzdruck in Berlin unter jenen, die über die Bundespolitik berichten und ich weiß, dass dieser Druck so manche Erregung erzeugt. Diesem Mechanismus bin ich in Hamburg sicherlich weniger ausgesetzt als in Berlin. Das ist durchaus ein Gewinn an Lebensqualität.

 

ZEIT: Wie nehmen Sie den Berliner Politikbetrieb und seine Medien heute von außen wahr?

Scholz: Ich bin gar nicht draußen. Als stellvertretender SPD-Vorsitzender und Erster Bürgermeister von Hamburg nehme ich weiter an allen Debatten teil. In Berlin ist es eben so, dass Bundespolitiker, Ministerpräsidenten und Journalisten eine sehr kleine Gemeinschaft formen. Und diese kleine Gemeinschaft ist ständig gefährdet, das, was man sich zu sagen hat und was man voneinander denkt, für ein Abbild der Welt zu halten.

 

ZEIT: Woran machen Sie das fest?

Scholz: Wir treffen uns ständig, verhandeln Sachen miteinander, halten uns etwas gegenseitig vor, kennen viele Themen sehr genau, weil wir ständig damit befasst sind. Und dann kommunizieren wir auf eine Art miteinander, die viele Bürger außen vor lässt. Oder wir kommunizieren gar nicht mehr miteinander und senden nur noch unsere Botschaften. Mir ist das bei Bundestagsreden aufgefallen: Viele Abgeordnete reden nur zur eigenen Fraktion, sie versuchen erst gar nicht, die anderen Anwesenden zu überzeugen. Und ganz viele Reden setzen ein ungeheures Fachwissen voraus, dabei ist eine Rede im Bundestag konzeptionell doch immer eine Rede an 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Sie sollte man erreichen. Das ist die große Herausforderung, die wir Politiker in der Demokratie bewältigen müssen.

 

ZEIT: Warum reden Politiker lieber zur eigenen Fraktion? Weil es so einfach ist?

Scholz: Ich sage das ganz vorwurfsfrei, aber: Ja, das ist einfach nicht zu Ende gedacht.

 

ZEIT: Gilt das auch für die Medien?

Scholz: Zunächst einmal glaube ich, dass die Medien in Deutschland gar nicht so schlecht sind, wie ihre Kritiker auch in den Medien selbst sie beschreiben. Wenngleich sie natürlich noch besser sein könnten.

 

ZEIT: Warum zählen dann Journalisten und Politiker zu den unbeliebtesten Berufsgruppen?

Scholz: Wenn man in der Öffentlichkeit handelt, muss man sich an einem Maßstab orientieren, der für Politiker wie Journalisten gilt: Niemals zynisch zu werden. Das ist der entscheidende Punkt. Wer sich daran ausrichtet, leistet einen wichtigen Beitrag wider die Skepsis gegenüber dem politischen Betrieb und seinen Berichterstattern.

 

ZEIT: Wann werden Politiker und Journalisten zynisch?

Scholz: Immer dann, wenn sie sagen: So läuft das: Es ist zwar nicht in Ordnung, aber so ist die Welt. Wenn sie zum Beispiel jemanden bewundern, der nicht die Wahrheit spricht. Wenn sie jemanden gut finden, der damit durchkommt. Wenn sie Politiker durchkommen lassen, die bloß eine Methode gefunden haben, sich öffentlichkeitswirksam zu inszenieren und sie dadurch zum »Helden« verklären. Wer etwas gegen den Verdruss der Bürgerinnen und Bürger machen will, darf nicht zynisch sein. In dieser Frage bilden Journalisten und Politiker eine Schicksalsgemeinschaft.

 

ZEIT: Sie sprechen also über den Hype um Karl-Theodor zu Guttenberg.

Scholz: Das ist jetzt Ihr Beispiel. Prinzipiell gilt: Der Journalismus kommt immer dann in Schwierigkeiten, wenn er sich nicht mehr mit Sachthemen befasst, sondern nur mit Binnenperspektive.

 

ZEIT: Neue Medien wie die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter setzen den klassischen Journalismus unter Veränderungsdruck. Wie wirkt sich das auf die Politik aus? 

Scholz: Facebook und Twitter haben die medialen Erregungswellen noch einmal beschleunigt und in ihrer Wucht verstärkt. Das führt dazu, dass sich die Politik immer mehr hetzen lässt, obwohl sie das nicht sollte. Medien, klassische wie neue, fordern gern schnelle Entscheidungen. Die Politik braucht Ruhe und die Medien brauchen Aufregung. Da muss man als Politiker Mut zur Ruhe beweisen.

 

ZEIT: Sie haben vorhin gesagt, die Medien seien nicht so schlecht, wie sie gesehen würden. Wie könnten sie noch besser werden?

Scholz: Indem sie weniger die Politik der Politik beschreiben und mehr, worum es eigentlich geht.

 

ZEIT: Worum geht es eigentlich?

Scholz: Zum Beispiel um Mindestlöhne.

 

ZEIT: Das, lieber Herr Scholz, ist jetzt Wahlkampf-Sprech.

Scholz: Das ist es nicht. Ich nehme dieses Beispiel, um Ihnen zu verdeutlichen, was mich in meiner Zeit als Bundesarbeitsminister von Amts wegen beschäftigt hat und welche Interviewanfragen ich bekam. Ich habe fast nur Gesprächsinteressenten gehabt, die von mir wissen wollten: Nutzt das der SPD? Schadet das der CDU? Welche Folge hätte es für die FDP? Das ist Politik der Politik. Ich habe jedes Mal die gleiche Antwort gegeben: Kann sein, dass es der SPD nützen könnte, aber darum geht es hier nicht, ich mache das, weil es ganz vielen Bürgerinnen und Bürgern zu einem besseren Einkommen verhilft. Weil es richtig ist.

 

ZEIT: Aber das sagen Politiker doch immer: Dass es ihnen um die Sache geht. Und wenn die Mikrofone aus sind, sprechen sie über Taktik und Macht.

Scholz: Ich bestreite ja nicht, dass in der Politik taktische Überlegungen eine Rolle spielen. Aber sie sind nicht das einzige Entscheidungskriterium. Nehmen Sie das Thema Spitzensteuersatz. Ist es richtig oder falsch, ihn zu erhöhen? Würde es die Unternehmen ins Ausland ziehen, wenn man die Steuern erhöht? Was könnte man mit den Steuermehreinnahmen Sinnvolles finanzieren? Wenige Gespräche drehen sich um diese Fragen. Und das finde ich als Bürger langweilig und als Politiker uninteressant. Ich mache Politik, weil ich etwas verändern will. Im Übrigen gebe ich meinen Parteifreunden auch solche Ratschläge. Wenn der Eindruck entsteht, wir machten etwas, nur weil es uns nützt, ist es nur noch halb so viel wert.

 

ZEIT: Wie könnte die Politik dazu beitragen, die Medien besser zu machen?

Scholz: Ich glaube, dass Politik unterhaltsam sein kann, aber nicht zur Unterhaltungsbranche gehört. Und ich finde, dass ein Politiker darauf achten sollte, wie er für seine Anliegen wirbt und wie er seine Argumente klar macht. Ich glaube, dass Politiker sich über die Skepsis und manchmal ja auch die Verachtung der Bürgerinnen und Bürger nicht beschweren dürfen, wenn sie in populistischer Absicht vor allem den politischen Gegner verächtlich machen. Ich habe nichts gegen Talkshows im Fernsehen, aber ich nehme wahr, dass sich die Macher dieser Sendungen entschieden haben, die Unterhaltungskomponente in den Mittelpunkt der Auswahl der Teilnehmer, der Themen und der Gesprächsführung zu stellen. Ich sage den Moderatoren stets auf die Gefahr hin, dass ich nie wieder eingeladen werde: Ich unterbreche meine Gesprächspartner nicht wenn Sie mich nicht drannehmen, sage ich die ganze Sendung nichts.

 

ZEIT: Und wie ist dann die Reaktion?

Scholz: Das finden die wahrscheinlich nicht richtig. Aber alle wissen, dass ich mich so eisenhart daran halte, dass ich schon drangenommen werde.

 

ZEIT: Wer hat die Grenze zwischen unterhaltsam und Unterhaltung verschoben?

Scholz: Ich glaube, dass wir alle, Politiker und Medien, Sie und ich, eine gemeinsame Verantwortung haben. Natürlich kann ein Politiker frei entscheiden, worauf er sich einlässt und worauf nicht. Und natürlich sollen die Medien nicht so tun, als seien sie irgendwelchen Zwängen ausgesetzt, denen sie sich nicht entziehen können. Wenn wir für das Abwägende, das Kompromisse Akzeptierende keine geeigneten Sendeformate mehr finden, dann sollte sich bitte keiner der Beteiligten mehr in einem Text oder einer Rede über den Zerfall der Gesellschaft beschweren.

 

ZEIT: Wenn Journalisten mit einem Politiker über Journalismus und Politik reden, dann können die Leser mit einer gewissen Berechtigung fragen, was sie das eigentlich angeht. Wie lautet Ihre Antwort?

Scholz: Mit großem Pathos und vollem Ernst: Die Medien haben eine unverzichtbare Aufgabe für das Funktionieren der Demokratie. Ohne sie könnten sich die Bürger kein Urteil über die Konzepte und das Handeln der Politik bilden. Deshalb ist es von höchster Bedeutung, ob die Medien Qualität haben oder nicht. Und viele haben diese Qualität.

 

ZEIT: Herr Scholz, Sie sind jetzt seit fast zwei Jahren in Hamburg, Ihre Popularitätswerte sind hoch. Hätten wir dieses Gespräch auch zu jener Zeit Berlin führen können, als es Ihnen nicht so gut ging?

Scholz: Nein.

 

ZEIT: Warum nicht?

Scholz: Weil ich keinen Weg gewusst hätte, wie ich verhindere, dass es so wirkt, als klagte ich über mein Schicksal. Das wollte ich nie und das will ich auch jetzt nicht. Jetzt, etwa zehn Jahre später, gibt es diesen Weg.

 

Die Fragen stellten Marc Brost und Peter Dausend